„Merkel muss weg! Merkel muss weg!“ „Oh nein, Merkel, komm zu uns, bleib in unserer Mitte!“ „Rückt die Merkel raus, die soll ins Gefängnis!“ „Aber wir wollen die Merkel. Die bleibt! Die bleibt!“ „Huiu huiu, hier ist die Polizei. Machen Sie bitte Platz, sonst schießen wir mit Wasser. Huiu huiu …“ Ich nehme mein Ohr von der Tür zum Kinderzimmer und klopfe.

Kind mit Maske in Corona-Quarantäne: Wenigstens Klavierspielen ist noch erlaubt

Unser Kind in häuslicher Absonderung: Wenigstens Klavierspielen ist noch erlaubt

„Mausi, es ist wieder Zeit zum Fiebermessen. Sagst du mir bitte deine Körpertemperatur?“, rufe ich durch die geschlossene Tür. Ich notiere auf unserem Messprotokoll 36,6 Grad Celsius und bin erleichtert, dass die Zahlen stabil sind. Wäre es nicht so, müssten wir uns umgehend an einen Arzt wenden.

Anzeige


Seit fünf Tagen steht meine Tochter unter Corona-Quarantäne. Eine ihrer Lehrerinnen wurde positiv auf Covid-19 getestet. Über die Hälfte ihrer Mitschüler wird nun häuslich „abgesondert“; inklusive der Schüler, die in den letzten Wochen bereits zu Hause waren und gar keinen Kontakt zur Lehrerin hatten.

Während ich das Mittagessen auftische, vier Teller auf unserem Küchentisch und einen mit Einwegbesteck separat, fällt mein Blick aus dem Fenster. Spielen da etwa Nachbarskinder auf der Straße? Oh weh … Sollte ich das melden?

Vielleicht später. Jetzt ziehe ich mir erstmal meinen Mund-Nasen-Schutz über und trage das Tablett mit dem Pappteller hinüber zum Kinderzimmer. „Mittagessen ist fertig! Setzt du bitte deine Maske auf und stellst dich mal kurz hinten an die Wand?“, rufe ich an der Tür.

Mein Kind ist brav und ich kann das Essen zusammen mit einem Schwung frischer Papiertaschentücher ins Zimmer stellen. Ich lächle meine Große an, vielleicht kann sie das an meinen Augen erkennen, und schaue, ob ich eine „Atemwegssymptomatik“ bei ihr feststellen kann.

„Wenn du niesen oder husten musst, dann bitte in die Armbeuge, okay?“, erinnere ich sie und wünsche guten Appetit. Übrigens würde ich sie so gerne in meinen Arm nehmen, sie drücken und küssen. Denn es bricht mir fast das Herz, sie so einsam zu sehen.

Und was spielte sie da eigentlich vorhin? Hat sie diese „Demo-Spielidee“ von ihrem Laptop? Sie sollte doch nur mit der Anton-App lernen! Im Abstand von zwei Metern gehe ich an meiner Achtjährigen vorbei und schließe das Fenster, dessen Griff durch das ständige Lüften schon ganz abgegriffen ist.

Ein Geschwisterkind klopft unaufhörlich an die Tür und ich verlasse den Raum. Gründlich wasche ich die Hände und trockne sie an meinem eigenen Handtuch ab, denn darauf hat das Gesundheitsamt extra noch einmal hingewiesen. Im Anschluss daran erkläre ich den Geschwistern zum x-ten Mal, dass sie noch zwei Tage warten müssen, bis sie ihre Schwester, das Kinderzimmer und die Spielsachen wiedersehen. Dann kann vielleicht auch jemand zu Besuch kommen. Wer das sein darf, muss ich mit meinem Mann noch ausloten.

Anzeige

Bis dahin halte ich mich aber strikt an die Anweisungen des Gesundheitsamtes. Eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe will ich nicht riskieren! Da isoliere ich lieber mein tapferes Mädchen. Meine Angst, dass eine „zwangsweise Absonderung“ in ein geeignetes Krankenhaus erfolgen könnte, ist zu groß. Zur Erinnerung und mentalen Stütze habe ich den Bescheid an unsere Pinnwand geheftet. Er ist sogar gebührenfrei (sic!).

Ihr haltet das für einen schlechten Scherz? Ja, das könnt ihr. Wenn es nach der Anordnung des Gesundheitsamtes unseres Kreises geht, ist es aber bitterernst:

[…]

2. Um die Möglichkeit einer Ansteckung weiterer Personen zu minimieren, unterliegt Ihr Kind folgenden Maßnahmen gemäß §§ 28 bis 30 IfSG auch in Verbindung mit § 31 IfSG. Sie als sorgeberechtigte Person haben dafür Sorge zu tragen, dass die angeordneten Maßnahmen eingehalten werden:

  • Absonderung im häuslichen Bereich
  • Verbot des Betretens einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 IfSG bzw. der Teilnahme an Veranstaltungen einer Gemeinschaftseinrichtung
  • Beobachtung: Dies bedeutet, zweimal täglich Körpertemperatur messen sowie auf Covid-ähnliche Krankheitssymptome, insbesondere auf das Auftreten von Atemwegssymptomatik und Fieber achten und dies dokumentieren.
  • Bei Auftreten von Krankheitssymptomen, insbesondere von Atemwegssymptomatik und Fieber ist das Gesundheitsamt zu verständigen und ein Arzt zur weiteren Diagnostik aufzusuchen. Melden Sie sich unbedingt vorab telefonisch bei Ihrem Hausarzt oder in der Notaufnahme des Krankenhauses und teilen Sie Ihre Beschwerden mit.
  • Im Rahmen der häuslichen Absonderung sind folgende Verhaltensregeln strikt einzuhalten:
    • Kontakte zu Dritten sind zu meiden bzw. sind mindestens 1,5 – 2 m Abstand zu halten,
    • bei unvermeidbaren Kontakten (z.B. Haushaltsmitglieder, Personen im selben Raum) ist ein Mund-Nasen-Schutz zu tragen,
    • im Haushalt soll nach Möglichkeit eine zeitliche und räumliche Trennung zwischen Ihnen und den anderen Haushaltsmitgliedern erfolgen z.B. keine gemeinsamen Mahlzeiten,
    • getrennte Nutzung der Räumlichkeiten der Wohnung,
    • enge Körperkontakte sind zu vermeiden,
    • Beachtung der richtigen Husten- und Niesregeln (in die Armbeuge),
    • Verwendung von Einwegtaschentüchern,
    • eigene Hygieneartikel nutzen (z.B. Waschlappen, Handtücher),
    • Wäsche regelmäßig und gründlich waschen (übliche Waschverfahren),
    • keine Haushaltsgegenstände (Geschirr, Wäsche, etc.) mit Dritten teilen,
    • sorgen Sie für gute Belüftung der Wohn- und Schlafräume,

3. Wird den Anordnungen dieses Bescheides nicht Folge geleistet, wird hiermit die Durchsetzung im Wege der Verwaltungsvollstreckung durch unmittelbaren Zwang angedroht. Darüber hinaus behält sich das Gesundheitsamt des Erzgebirgskreises bei fehlender Mitwirkung die Beantragung der zwangsweisen Absonderung beim zuständigen Amtsgericht vor.

4. Der Bescheid ergeht gebührenfrei. […]

Eine Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 30 Abs. 1 IfSG kann gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden.

Zap some sats our way – it's all about value for value!

Bitcoin Lightning QR-Code

Unterstütze uns via Bitcoin Lightning Network mit ein paar sats direkt an: [email protected]

[…]

Wenn jemand ein Kind so überwacht, von der Außenwelt abschottet und ihm so wichtige Bedürfnisse wie Nähe und Kuscheln vorenthält, zählte das damals in meinem Studium als Indiz für „Kindeswohlgefährdung“. Aber ich bin eben echt schon grau hinter den Ohren. Damals liefen Quarantäne-Maßnahmen für Kinder eben anders.

Erleichtert lese ich im Klassen-Chat, dass die anderen Eltern die „Maßnahmen“ auch eher zurückhaltend umsetzen und in Wahrheit KEIN Kind irgendwo allein abseits vom Rest der Familie sitzt. Eine der wenigen Dinge, die wir Eltern nun leisten, ist das Homeschooling. Und das funktioniert mit dieser Klassenlehrerin und durch die Rücksprache über unseren Elternchat echt super.

Ohne mich auf die Seite von Demonstranten oder Gegendemonstranten zu stellen, wovon meine Kinder durch das politische Geschehen in diesem Land einfach Notiz nehmen, appelliere ich an euch: Lasst eure Kinder bitte nicht allein! Quarantäne beschränkt sich meistens nur auf wenige Tage oder Wochen. Aber auch diese sind Tage oder Wochen ihrer Kindheit.

In diesem Video hört und seht ihr dazu einen Appell des Neurobiologen Gerald Hüther:

All das, was oben zu verrückt scheint, mache ich natürlich NICHT mit meiner Tochter. Die Quarantäne kriegen wir aber trotzdem gut um. Wir benutzen nun alle unsere eigenen Zahnbürsten, essen weniger Popel, knabbern mehr Gesundes und sind froh und dankbar, dass wir gesund sind und uns haben.

Alles Liebe, eure Evelin

CC BY-SA 4.0 Kinder in Corona-Quarantäne: häusliche Absonderung im Kinderzimmer von Free Your Family ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.