In einer Videoreihe versuchen wir zu erklären, wieso wir jede Art von Erziehung – auch die antiautoritäre – ablehnen und wieso wir Erziehung sogar ziemlich fies finden. Dafür haben wir uns ein paar Abende Zeit genommen und können euch nun unsere ersten gemeinsamen, manchmal noch etwas holprigen Videos präsentieren.

Alles ist Erziehung, oder nicht?

Vielleicht fragst Du Dich: „Wie, ihr wollt nicht erziehen? Das macht man doch sowieso, denn alles ist Erziehung!“
Schauen wir uns zunächst die Definition an: Erziehung ist eine beabsichtigte und zielgerichtete Tätigkeit zur Formung von Menschen. Erziehung findet demnach nicht nebenbei statt (hierzu findest Du nähere Informationen in unserem Artikel „Begriffsverwirrung Erziehung“). Erziehung geschieht nur, wenn sich jemand über einen anderen erhebt und diesen zu einem gesetzten Ziel „ziehen“ will. Selbst die antiautoritäre Erziehung verfolgt ein Ziel: Man möchte die Kinder zu besonders autoritätskritischen Menschen heranziehen.

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Erziehung erfolgt immer hierarchisch. Dabei gibt es stets ein Unten und ein Oben, ein Erziehungsobjekt und ein Erziehungssubjekt, einen Gezogenen und einen Ziehenden – oder, will man es wie zu Zeiten Martin Luthers nennen, einen Zögling und einen Erziehenden.

Die Großen haben also eine konkrete Vorstellung davon, wie die Kleinen sein sollten und setzen ihre Vorstellung, auch gegen den eisernen Willen des Zöglings, durch. Die Eltern möchten erreichen, dass ihr Kind in einer bestimmten, festgelegten Zeit zu einem durch die Eltern vorgegebenen Ziel kommt.

Diese Erziehung gelingt durch Ge- und Verbote. Dabei wird den Zöglingen erst eine Konsequenz angedroht, um anschließend entsprechende Machtmittel auch zu nutzen. Unserer Meinung nach ist dies eine Form von Gewalt.

Zwar werden Eltern heute durch unzählige Bücher, Artikel, Schulunterweisungen usw. aufgefordert, ihre Kinder gewaltfrei zu erziehen. Die Formulierung „gewaltfreies Erziehen“ ist jedoch im Grunde ein Oxymoron.

Wir sind nicht der Auffassung, dass Kinder tatsächlich respektiert werden, wenn man sie erzieht. Erziehung bedeutet für uns Manipulation. Man denkt, Kinder wären formbar. Dies widerspricht jedoch dem Freiheitsgedanken. Schließlich will man die Kinder ändern: Die als negativ bewerteten Eigenschaften des Kindes werden unterdrückt, während man gleichzeitig die als positiv bewerteten Eigenschaften hervorheben und verstärken möchte. „Positiv verstärken“ nennt man das im pädagogischen Fachjargon.

Alle glauben dabei, dass sie im Interesse der Kinder handeln. Doch dachten die Mächtigen vor ein paar Jahrhunderten auch, sie würden im Interesse der Indianer, der Aborigines und der afrikanischen Völker handeln, als sie diese zivilisierten oder versklavten.

Wie soll Erziehung funktionieren?

Die Erziehungsmittel bedeuten für uns Verführung bzw. Erpressung des Kindes:
1. Es wird abgelenkt: „Ja, ja, hier gibt es Kekse. Da vorne im Regal steht die Milch, die packen wir in unseren Einkaufswagen. Und dann brauchen wir noch eine Gurke, ein Stück Butter, Äpfel…“
2. Es wird überlistet: „Stimmt, du wolltest ja heute unbedingt deine Lieblingsdinokekse kaufen, das hast du schon den ganzen Vormittag 1000 Mal gesagt. Aber naja, jetzt haben wir das total vergessen und stehen schon zum Bezahlen an der Kasse. Da kaufen wir die eben beim nächsten Mal.“
3. Es wird bestochen: „Wenn du mir beim Einräumen hilfst, bekommst du was Schönes.“
4. Es wird dem Kind Angst gemacht, eingeschüchtert, angedroht und unzählige Nachteile aufgeführt: „Von deinen Keksen bekommst du aber Karies! Da muss dann der Zahnarzt am kranken Zahn bohren und das tut sehr weh. Außerdem darf man gar nicht so viele Kekse essen, weil man Bauchweh bekommt und der gute Schonbezug vom Sofa wird ganz vollgekrümelt…“

Obwohl es uns nicht immer gelingt, das Erziehen sein zu lassen, sind wir der Überzeugung, dass man Kinder nicht formen sollte. Kinder sind keine kleinen Objekte. Kinder sind Subjekte. Sie sind von Beginn an selbstbestimmte Lebewesen. Mit dieser Einsicht wollen wir die Beziehung zu unseren Kindern entsprechend gestalten.
Natürlich können Kinder manches einfach noch nicht. Hier helfen wir ihnen, genauso wie man alten Menschen oder Menschen mit Behinderungen helfen würde.

Denn um gleich ein Missverständnis auszuräumen: Wenn Menschen auf Erziehung verzichten wollen, bedeutet das mit keiner Silbe, sich gar nicht um seine Kinder zu kümmern.

Doch wollen wir Abhängigkeit und Hilfslosigkeit eben nicht zum Anlass nehmen, uns anderen gegenüber anzumaßen, ein Ziel vorzugeben und dieses mit Gewalt durchzusetzen.

Wir wünschen uns keine Fremdbestimmung für unsere Kinder und verzichten deshalb auf vorgegebene Schlafenszeiten, auf Zwang zum Zähne putzen, Haare kämmen oder Anziehen sowie Sprechen nur nach Aufforderung. Wir bestehen nicht auf „Bitte“ und „Danke“ und haben es nicht nötig, mit dem Statussymbol „Kind mit wohlerzogenem Benehmen“ vor der Verwandtschaft anzugeben. Bei der Nichterziehung geht es nicht darum, ob es nun sinnvoll ist, die Zähne zu putzen oder nicht. Es geht darum, dem Kind eine Wahl zu lassen.

Wieso aber erzieht nun fast jeder sein Kind?

Die Eltern denken, das Kind sei erziehungsbedürftig. Doch ist das Kind nicht erziehungsbedürftig, sondern lernbedürftig. Wer André Stern oder unseren Blogartikel zu seinem Vortrag kennt, hat bereits aufgeschnappt, dass Kinder von selbst und ganz ohne Zwang lernen. Lernen kann man überhaupt nicht verhindern, sondern höchstens behindern – zum Beispiel durch Erziehung.

Kinder lernen natürlich auch mit Erziehung. Vor allem lernen sie dabei aber die Kunst der Erziehung, sprich deren Regeln: Kinder müssen das machen, was man ihnen sagt. Und im Konfliktfall wird dann eben nicht im demokratischen Sinne gemeinsam überlegt, sondern der Erzieher entscheidet letztendlich. Daher wachsen Kinder am Ende in dem Glauben auf, dass Erziehung unverzichtbar ist. Was man einmal glaubt, verstanden zu haben, gibt man so leicht nicht mehr auf.

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Kinder brauchen doch Grenzen, nicht wahr?

Im Sinne der antiautoritären Erziehung antwortet man auf diese Frage mit „Nein“, Befürworter traditioneller Erziehung rufen ihr „Ja“. Dabei wird ein Fehler gemacht: Alle Grenzen werden in einen Topf geworfen.

Wir unterscheiden Grenzen in aggressive Grenzen und in defensive Grenzen.

Aggressive Grenzen setzt man anderen beispielsweise, um diese zu ihrem Glück zu zwingen oder um diejenigen angeblich zu schützen. Das hat viel mit Macht zu tun. Ein Beispiel: „Du sollst deine schmutzigen Hände waschen, damit du nicht krank wirst.“

Defensive Grenzen hingegen erkennt man an ihrem Gerechtigkeitsmerkmal. Wir halten sie zur Wahrung eines harmonischen Familienlebens durchaus für sinnvoll. Defensive Grenzen kann man als „Notwehrgrenzen“ sehen. Man nutzt sie zur eigenen Verteidigung. Hier gilt: Freiheit, solange die Freiheit eines anderen nicht verletzt wird; Oder anders ausgedrückt: Du darfst tun, was Du willst, solange Du einem anderen damit nicht schadest. Ein Beispiel: „Ich will nicht, dass du meine Brotschnitte mit ungewaschenen Händen hältst.“

Bei der antiautoritären Erziehung sind beide Grenzen abgeschafft. Es werden mitunter keine persönlichen Grenzen anderer mehr akzeptiert, woraus Reibungspunkte entstehen.

Deshalb behaupten Vertreter traditioneller Erziehung heute, dass es misslingt, Kinder erziehungsfrei aufwachsen zu lassen. Das Scheitern liegt allerdings nicht an der Freiheit, die man den Kindern zuspricht, sondern an den Eltern, die denken, dass Erziehung notwendig ist.

Aber man muss Kinder doch schützen!

Ja, aber das geht auch ohne Erziehung.

1. Zunächst kannst Du die Gefahren minimieren (z.B. wichtige Dinge wegräumen, statt: „Greif da nicht ‚ran!“ zu befehlen).
2. In unübersichtlichen Situationen bietest Du Deine Hilfe an (z.B. könnte man seinem Kind beim Warten an der Fußgängerampel seine Hand anbieten),
3. oder kannst im Notfall retten (damit ist z.B. ein lautes „Stop“-Rufen gemeint) und
4. anschließend erklären, wieso Du so reagiert hast.
5. Natürlich kannst Du auch erklären, wie man sich vor bestimmten Gefahren schützen kann.

Dieses Vorgehen widerspricht einer gleichberechtigten Eltern-Kind-Beziehung nicht.

Was Dir im Alltag helfen kann, Deine Kinder nicht mehr erzieherisch zu bevormunden

Nach heiklen Situationen kannst Du diese reflektieren und versuchen, Dich in Dein Kind hineinzuversetzen. Es hilft auch ungemein, sich das Kind als Partner in einer partnerschaftlichen Beziehung vorzustellen. Von Deinem Partner möchtest Du doch auch nicht mittels Verboten und Erlaubnissen bevormundet werden, oder? Wenn Du die Entscheidungen und Interessen Deines Kindes akzeptierst und ernst nimmst, wird es auch lernen, Deine Entscheidungen und Interessen zu akzeptieren und ernst zu nehmen. Sachliche, erklärende Informationen helfen Deinem Kind viel mehr als allgemeine Begründungen wie das berühmte „Dasmachtmanabernicht!“.

„Aber ich muss meinem Kind doch Werte vermitteln!“

Klar, aber das lässt sich vor allem durch unsere Vorbildfunktion den Kindern gegenüber realisieren. Wollen wir Werte wie Toleranz und Gewaltfreiheit anerziehen, entsteht ein Widerspruch zur Antipädagogik. Denn hält sich ein Kind nicht an diese Werte, müssten die Erzieher intolerant sein und mit erzieherischer Gewalt reagieren.

Geht es Dir manchmal so, dass Dein Kind genau das Gegenteil von dem macht, was Du willst? Uns schon. Wenn wir darüber nachdenken, warum das so ist, kommen wir zu dem Schluss, dass es für unsere Große in dem Augenblick einfach die einzige Möglichkeit ist, uns zu zeigen, dass sie autonom über ihr Handeln entscheiden kann.

Antipädagogik als Alternative

Erziehung entspricht weder der Menschenwürde noch den Grundrechten eines Kindes. Zudem finden wir, dass Erziehung eine fiese Mischung aus Misstrauen, Intoleranz, Angst und Heuchelei ist und aus diesem Grund eine Gefahr für einen vertrauensvollen Umgang mit dem Kind darstellt.

Die Psychoananlytikerin und Autorin des Buchs „Das Drama des begabten Kindes“ Alice Miller beklagte den Teufelskreis, in dem Generation um Generation mit der Erziehung fortfährt. Einige bezeichnen unseren erziehungsfreien Ansatz als dummes Experiment, das zum scheitern verurteilt ist. Wir jedoch erhoffen uns, dass unsere Kinder die Erfahrung von Gewaltfreiheit, Offenheit und Toleranz in ihrer eigenen Familie machen können. Wir wünschen uns, dass sich unsere Kinder ernst genommen fühlen und infolgedessen später von sich aus Verantwortung übernehmen wollen.

Wir denken, in unserer Gesellschaft ist es längst an der Zeit, genau hier anzusetzen. Die Kinder sollen durch „Erziehung“ auf die „Gesellschaft“ vorbereitet werden, sich bestehenden Strukturen fügen und damit auch vorherrschenden Missständen anpassen. Doch die Gestaltung der Kindheit unserer Kinder hat großen Einfluss auf die Gestaltung einer zukünftigen Gesellschaft. Wenn uns Menschen mit einer anderen, restriktiveren und verblendeteren Weltanschauung erzählen, dass wir unseren Kindern mit der „Nichterziehung“ nichts gutes tun oder ihnen sogar schaden würden – wobei sie hier in der Regel an „antiautoritäre Erziehung“ denken – so verbleiben wir ganz im Sinne Alexander von Humboldts, der sagte: „Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.“

Zu diesem Artikel und den Videos zum Thema inspirierte uns im Besonderen der Artikel „Erziehen ist gemein“ der „KinderRÄchTsZÄnker“.

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