Letzte Aktualisierung: 05.01.2020

Ökologie der Kindheit nach André Stern: eine Haltung der Achtsamkeit und des Vertrauens

Die 2013 von André Stern ins Leben gerufene Bewegung „Ökologie der Kindheit“ lehrt uns eine neue Haltung gegenüber Kindern – ein Ethos, das auf Vertrauen und Achtsamkeit basiert. Dazu müssen wir unseren Blick vom Werden auf das Sein richten – und uns mit unserem inneren Kind versöhnen.

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Die Ökologie der Kindheit war und ist die Motivation für uns, mit unseren Kindern neue Wege zu gehen.

Wie wir auf die Ökologie der Kindheit stießen

Im Wochenbett mit unserer Großen fiel mir die eine oder andere spannende Literatur über „Kindererziehung“ in die Hände. André Sterns Buch „…und ich war nie in der Schule“ verschlangen wir aus Neugier, wie das Leben eines Menschen aussieht, der nicht die Schulbank gedrückt hat. Wir waren beeindruckt!

Was lag da näher, als einen der zahlreichen Vorträge zur „Ökologie der Kindheit“ zu besuchen, den der Autor zusammen mit seinem Vater Arno Stern hielt?

Wir wollten uns persönlich ein Bild von André Stern machen, und erhofften uns Antworten auf die Fragen:

  • Wie lernen wir am besten? Welches Umfeld ist förderlich?
  • Wie können unsere Kinder unbeschwert aufwachsen?
  • Was müssen wir tun, damit aus ihnen erfolgreiche und glückliche Erwachsene werden?
  • Und wie ist André Stern zu dem geworden, der er heute ist?

Wer ist André Stern?

André Stern kam 1971 in Paris zur Welt. Er ist Bestseller-Autor, Musiker, Komponist und Gitarrenbaumeister. Außerdem spricht er fließend deutsch.

Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder – ein glücklicher Mensch, der sich sowohl beruflich als auch sozial erfüllt fühlt. Und: André Stern ging nie in die Schule.

Weitere Infos findest Du auf der offiziellen Website des Autors.

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Beim Vortrag von André Stern über die Ökologie der Kindheit

Wir genossen die tolle Atmosphäre im Saal: Schulkinder stellten mal eben kurze Fragen. Kleinkinder rannten barfuß im Gang umher. Babys glucksten und quiekten. Und die Eltern ernteten von niemandem böse Blicke dafür.

André Stern sprach indes lebendig und herzlich von den vier Veranlagungen, mit denen wir auf die Welt kommen. Anschließend referierte sein Vater Arno Stern über den Malort und das Malspiel.

Es ist auf jeden Fall empfehlenswert, die Sterns live zu hören. Mit der „Ökologie der Kindheit“ schenken André und Arno Stern Mut und einen Schwung neuer Energie, um die jungen Menschen so anzunehmen, wie sie sind.

André Sterns Buch "... und ich war nie in der Schule" mit Autogramm

„und ich war nie in der Schule“ – als Andenken an den Vortragsabend von André Stern signiert

Es geht hierbei zum einen darum, die Grundbedürfnisse des Kindes zu achten. Das sind neben Liebe und Verbundenheit auch Nahrung und Ausscheidung. Zum anderen sollten wir seine „Veranlagungen“ anerkennen.

Die vier Veranlagungen des Menschen

André Stern sprach über die vier Veranlagungen, mit denen alle Menschen von Geburt an ausgestattet sind:

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  1. Spielen & Lernen
  2. Begeisterung
  3. Potenzialentfaltung & Autonomie
  4. Offenheit & Entdeckungsdrang

Er schmückte seinen Vortrag mit Anekdoten aus seiner Kindheit und aus der seines Sohnes. André Stern band das Publikum mit ein und beantwortete dabei allerhand Fragen, mit denen sich „Freilerner“ konfrontiert sehen. Freilerner sind die (junge) Menschen, die sich ohne Schule selbstbestimmt bilden (vgl. Autodidakt).

Die Veranlagung zum Spielen und Lernen

Um die Veranlagung zum Spielen und Lernen zu verdeutlichen, richtete André Stern gleich zwei Fragen an das Publikum:

  1. Was tun Kinder, wenn man sie in Ruhe lässt? Die Antwort kennt jeder: „Kinder … na? Kinder spielen. Was sonst?“
  2. Warum unterbrechen wir ihr Spiel immer wieder? Hier fällt uns wahrscheinlich nicht gleich eine plausible Antwort ein.

Es scheint, als läge dies am fehlenden Vertrauen – an der Angst, dass unsere Kinder im Leben nichts erreichen oder sie etwas versäumen könnten.

André Stern beruhigte: „Zum Lernen gibt es nichts besseres als das Spielen.“ Die Veranlagung zum Spielen ist für Kinder wichtiger als alles andere.

Bei uns sieht das in etwa so aus: Wir zwei Großen sind in Eile und wollen die Kleinen zum Anziehen bewegen. Schließlich wollen wir vor Einbruch der Dämmerung aus dem Haus. Doch plötzlich kommt das rote Tuch, das schon seit Wochen hinter dem Schränkchen verstaubt, zum Vorschein. Ausgerechnet jetzt muss es für einen Vulkanausbruch im Wohnzimmer herhalten.

André Stern bezeichnete das Spielen als „intellektuelles Verdauungssystem“. Es erlaubt uns die Nachahmung von Dingen, die in der realen Welt gefährlich wären. Er erinnerte uns daran, dass das Spielen unsere letzte Freiheit ist.

Die Gesellschaft hat Spielen und Lernen voneinander getrennt, weil sie die Ökologie der Kindheit nicht versteht. Für unsere Kinder wird es an diesem Punkt schwierig, denn „Spielen“ und „Lernen“ sind für sie dasselbe. Sagt man seinem Kind, es solle aufhören zu spielen und stattdessen lernen, ist es vergleichbar mit der Bitte, Luft zu holen, ohne zu atmen.

Kein Kind würde diese absurde Aussage seiner Eltern infrage stellen, da es ihnen vertraut. Es würde eher zu dem Schluss kommen, dass mit ihm selbst etwas nicht stimmt.

Die Veranlagung zur Begeisterung

Früher hörten wir immer wieder, Intelligenz sei erblich bedingt. Und noch heute pfeifen es die Spatzen oft von den Dächern. Wer das behauptet, vergisst, wie stark die Epigenetik uns Menschen in der Entwicklung beeinflusst. André Stern bezog sich in seinem Vortrag zur Ökologie der Kindheit auf den Gehirnforscher Gerald Hüther, um uns zu verdeutlichen, dass für das nachhaltige Lernen vor allem eines nötig ist: Begeisterung.

„Die Gehirnregion, die für die Beweglichkeit des Daumens zuständig ist, vergrößerte sich vor ca. 15 Jahren.“ Wenn Du unseren Blogartikel gerade auf Deinem Smartphone liest, erkennst Du, woran das lag: an der Bedienung des Handys und dem „Texten“ mit dem Daumen. Daraus können wir schließen, dass das Gehirn sich so entwickelt, wie es verwendet wird. Die Begeisterung ist dabei ein wahrhafter „Dünger fürs Gehirn“.

Unsere Begeisterung ist die einzige grenzenlose Ressource der Welt. André Stern gab zu bedenken: „Kleinkinder begeistern sich 20 bis 50 mal am Tag, Erwachsene circa vier mal pro Jahr.“

Die Veranlagung zur Potenzialentfaltung / Autonomie

Kinder saugen all die Eindrücke aus ihrer Umwelt geradezu auf. Fortschritte zu machen liegt in ihrer Natur. Babys lernen, sich zu drehen, zu sitzen und später zu laufen und zu sprechen. Wir müssen nicht Sorge dafür tragen, dass aus ihnen „etwas wird“. Die Ökologie der Kindheit zeit: Sie können gar nicht anders als zu „lernen“.

Zum Beispiel stecken die Hierarchien von Berufen und Schulfächern fest in unseren Köpfen: Wer will schon gern als Florist, Straßenfeger oder Maurer enden? Richtig: Kinder! Sie träumen vom Baggerfahren, nicht vom BWL-Studium. Denn sie kennen die Hierarchien zwischen den Berufen noch nicht. Doch wenn es nach den meisten Eltern geht, soll ihr Sprössling Arzt, Anwalt, Ingenieur oder Architekt werden. Nur so würde er ein tolles Leben führen.

André Stern brachte den Saal zum Lachen. Er schilderte all die herzerwärmenden Begegnungen seines Sohnes – zum Beispiel mit Müllmännern oder dem Mähdrescher-Fahrer. Eine Geschichte war besonders schön: die von Antonin und dem Pizzabäcker. In diesem Video erzählt er sie (ab Minute 19:54):

Kinder wollen „dazugehören“

Als André Stern 23 Jahre alt war, überreichte sein Freund Werni, ein Schweizer Gitarrenbaumeister, ihm edelstes Holz für den Bau einer Gitarre. Aber eben nicht so:

„Hier André, weißt du was das ist? Hmm?“

„Das ist Holz.“

„Seeehr gut, richtig! Und weißt du auch, wo das Holz herkommt? Naaa, weißt du das?“

„Das ist vom Baum.“

„Ahhh, fein! Das Holz ist vom Baum. Aber weißt du denn auch, wo das Holz herkommt?“ …

Wir würden uns verspottet fühlen, wenn jemand so mit uns spricht! Und doch reden viele Erwachsene, viele Eltern, so mit den Kindern. Weil es angeblich „niedlich“, „süß“ oder „angepasst“ klingt.

„Mit dieser Art zu sprechen, grenzen wir die Kinder aus. Und für sie ist Ausgrenzung das schlimmste Gefühl überhaupt“, sagte André Stern. Kinder wollen Teil des Teams sein. Sie wollen sein wie wir. Es ist diskriminierend, dem Kind immer wieder zu zeigen, dass es noch nicht „dazugehört“ – sei es nun durch die Verwendung dieser „ironischen Sprache“ oder durch „an  Kinder angepasstes Spielzeug„.

Die vierte Veranlagung: Offenheit und Entdeckungsdrang

Kinder haben den Drang, die Veranlagung, in die Welt hinauszuziehen. Sie sind Teamworker und suchen den Kontakt zu anderen Menschen. Sie gehen offen auf fremde Leute zu, ohne Vorurteile. Denn sie wissen, wie bereichernd die Vielfalt ist.

Würden wir das Kind zu Hause lassen, hätte es nur Zugriff auf das Wissen und das Wesen seiner Eltern. Auch deren Ängste würden dem Entdeckungsdrang des Kindes im Wege stehen. Ein Beispiel: Würdest Du Dir zutrauen, einen Baum hinaufzuklettern? Wahrscheinlich ja. Würdest Du das Deinem Kind zutrauen? Ja, aber nicht so hoch und nur, wenn die Erzieherin in der Nähe ist und auch nur, wenn die Schnürsenkel zu sind…

In der Schule kommen die Kinder nach Alter und Wohnort zusammen, nicht nach Interesse. Sie sollen am selben Ort zur selben Zeit dasselbe „lernen“ – auswendig, ohne Begeisterung, stets dem Leistungsdruck und dem Konkurrenzkampf unterworfen. Hier fragte André Stern offen: „Entsteht so Bereicherung?“

Die Ökologie der Kindheit und der Wandel der Haltung

Durch das Wissen um die „Ökologie der Kindheit“ können wir eine neue Haltung gegenüber Kindern entwickeln. Wir können sie so annehmen, wie sie sind – mit all ihren Veranlagungen und ihrer Genialität. Denn sie wissen um ihre unbegrenzten Potenziale. Sie sind überzeugt, alles werden und lernen zu können. Das sollten wir ihnen nicht nehmen, nur weil es uns genommen wurde.

„Der Blick, der auf uns geworfen wurde, als wir Kinder waren, bestimmt immer noch, mit welchen Augen wir uns heute selbst sehen. Deshalb wird es keinen Frieden auf Erden geben, solange wir nicht im Frieden sind mit der Kindheit“

– André Stern

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Klappentext:

»André Stern ist Vorbote einer neuen Lebensweise: Er vertraut in die emotionalen, sozialen und kognitiven Potenziale des Menschen.«
Deutschlandfunk Kultur

André Stern, der mit seinem Buch »… und ich war nie in der Schule« einen Bestseller landete und seither auf Veranstaltungen Säle füllt, hat ein fesselndes Plädoyer für bedingungsloses Vertrauen in die natürliche Entwicklung unserer Kinder verfasst. Statt Leistungsoptimierung und Konkurrenzdenken setzt er auf die individuelle Entwicklung und das eigene Tempo des Kindes.

»Das Spiel ist für das Kind die direkte Art, sich mit dem Alltag, mit sich und mit der Welt zu verbinden. Für Kinder ist das freie Spiel ein Bedürfnis. Eine Veranlagung, ein Hang, oft ein Drang. Es ist für das Kind eine tiefe Erfüllung.«
André Stern 

Mit Originalbeiträgen unter anderem von
Gerald Hüther, Katia Saalfrank, Thomas Sattelberger, Arno Stern, Erwin Wagenhofer

Vertrauen und Achtsamkeit gegenüber Deinen Lieblingsmenschen wünscht Dir
Deine Evelin

PS: Ich durfte André Stern selbst interviewen. Hier gelangst Du zum Gespräch.

 

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