Liebes Tagebuch,
heute ist ein Tag, den ich am liebsten aus dem Kalender streichen würde. Dieser besondere Sonntag im Mai, der zum Ausschlafen einlädt. Statt in Ruhe dem frühlingsverheißenden Zwitschern der Vögel zu lauschen, fährt einem das jüngste Kind mit einem Spielzeugauto übers Gesicht. Das zweite ruft vom Klo, dass es „feeertig“ ist. Also taumelt man aus dem Bett, wischt den kleinen Hintern sauber. Sich danach wieder ins Bett zu legen, ist nie eine gute Idee. Ich mach’s trotzdem. Einschlafen kann ich zwar nicht, aber insgeheim hoffe ich, dass in der Küche jemand mit Geschirr klappert. Ein gedeckter Frühstückstisch mit frischen Brötchen, einem Blumensträußchen und Kaffeeduft – das wär’s! Also lausche ich.
„Mama, der hat mir die Decke weggezogen!“, schleudert es mir stattdessen um die Ohren. Während ich mich aufraffe, werfe ich meinem Kind die Decke ins Hochbett. Im Badezimmer beeile ich mich; eine ausgiebige Schönheitspflege oder Make-up sollen heute ja sowieso nicht sein. Man muss schon richtig aussehen wie eine „Mutti“. (Nebenbei: Die Bezeichnung „Mutti“ klingt für mich nach DDR und Kittelschürze. Obwohl ich meine Mutter u.a. so nenne, will ich NIEMALS „Mutti“ genannt werden.)
Vorfreudig eile ich in die Küche. Es erwarten mich drei ausgekippte Puddingpäckchen, drei dreckige Stofftaschentücher, die Klamotten des männlichen Sandwichkindes und die Reste des Nachtsnacks meiner ältesten Tochter. Irgendwie kann ich mir den Satz „Muttertag – so schön wie jedes Jahr“, nicht verkneifen. Liebreizend erwidert mein Gatte im Nebenraum: „Gleich machen wir einen schönen Spaziergang, mein Schatzi. Ich muss erst noch meine Hose anziehen“. Ich schnappe seine Jeans, die über dem Küchenstuhl hängt, und schieße sie nach drüben. „Die ziehe ich nicht mehr an. Die ist dreckig“, sagt er mir. „Dann soll sie in die Wäsche“, erkläre ich, bevor mein Mann mit seinem Schatzi zum Spaziergang aufbricht. Wenigstens Schatzi schenkt mir im Vorübergehen einen liebevollen Hundeblick. Sein Vorteil ist eben, dass er ein Hund ist.
Ich beseitige das Chaos in der Küche.
Mein weibliches Sandwichkind schenkt mir ein selbstgebasteltes Lesezeichen. Und die Älteste überreicht einen Mama-Herz-Zettel mit Werbeprospekt eines indischen Restaurants, in das wir sowieso nicht einkehren werden.
Höflich bedanke ich mich. Doch wenn ich ehrlich bin, freue ich mich an allen anderen Tagen im Jahr tausendmal mehr über meine Kinder als am Muttertag. Diese Markierung im Kalender ist es, die mich triggert. Man soll bitteschön dankbar sein für Kritzelbilder, gebastelte Staubfänger aus dem Kindergarten oder kitschige Ausmalbilder. Als Mama darf man sich an diesem Tag nach Herzenslust verwöhnen lassen und Aufmerksamkeiten wie einen gedeckten Frühstückstisch genießen? Ich schätze, diese Annehmlichkeiten stehen erst reiferen Müttern zu.
Der Blumenstrauß findet doch noch zu mir. Bei der Hunderunde ließ sich nämlich etwas auftreiben, dazu ein paar Stängel tränendes Herz aus dem Garten. In einer Vase auf dem Tisch bekommen sie ihren Platz.
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Ich bestehe darauf, heute mit allen ganz ordentlich zu frühstücken. Mein Mann rümpft etwas die Nase. Immerhin würde es viel schneller gehen, würde ich den Kindern einfach wie immer ihren Frühstücksporridge kochen.
Da sitzen wir also als Familie und „genießen“ Brötchen. Meine beiden Töchter treten sich unter dem Tisch. Der Jüngste neben mir kleckert so mit seinem Joghurtlöffel, dass ich mich jetzt doch für die Kittelschürze entscheiden würde. Mein Mann rülpst, ohne es mitzubekommen, und gefühlt reden alle durcheinander. Die Blumenstängel in der Vase biegen sich traurig nach unten. Alle. Auch das tränende Herz. Ach, wäre ich damals nur mit dem sexy Kindergärtner durchgebrannt! Ich bin mir sicher, dass ich mich heute nicht über Chaos oder Undankbarkeit ärgern würde … Ein tränendes Herz als Muttertagsblume, ist das nicht eher was für Beerdigungen? Zusammen mit Maiglöckchen, weil die so nach altem Frauenparfüm riechen?
Aber ach was, bei uns ist eben nicht immer alles perfekt. Und schon schmunzle ich wieder. Morgen, wenn wieder alles gut ist, lache ich auch wieder laut. Und ich erfreue mich an meinen Kindern, die wunderbar miteinander spielen, sich ergänzen, streiten und vertragen lernen, mir helfen und zeigen, wie lieb sie mich haben. Denn das gelingt ihnen morgen bestimmt auch wieder besser.
Solange sinniere ich besser nicht sehnsüchtig darüber, wann sich Haushalt und Geschwisterstreit von selbst erledigen.
Allen einen schönen Muttertag! ;-P
Eure Evelin
Muttertag abschaffen! Gedanken zum blöden Ehrentag von Free Your Family ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Auch wenn ich ein paar Wochen zu spät über diesen Beitrag gestolpert bin, so muss ich doch mit dir fühlen. Wie heißt es deshalb so schön: „Muttertag ist jeden Tag!“. Vielleicht sollte man statt Muttertag auch einfach den „Equal Pay Day“ feiern oder auch einfach gar nicht feiern und stattdessen Patricia Cammaratas Buch „Raus aus der Mental Load Falle“ lesen. Es gibt tausende Mütter, die genauso fühlen.
Hallo Christine,
ja, du hast so recht! Ich bin ganz bei dir. :-D
Danke für deinen Buchtipp.
Sonnige Grüße, Evelin
Muttertag abschaffen, Vatertag abschaffen???
Es steht in der Bibel geschrieben, dass Du Vater und Mutter ehren sollst, auf dass es Dir wohl ergehen ein Leben lang. Unsere Werte liegen nun einmal im christlichen und es hat Jahrtausende funktioniert. Es gehört zur europäischen Identität. Es gehört zum Blick auf einen Schöpfer. so wie auch Vaterland und Mutter Erde. wenn wir diese Schöpferkraft ebenfalls entfernen, was bleibt dann zurück?
Diese Gedenktage geben dem Menschen halt auf einer Ebene, in der Geistigen Welt.
spirituelle betrachtet ist es wichtig dass diese Tage zu den Wurzeln des Mwnsch seins gehören. Nur weil jemand den Sinn darin nicht erkennt?
Es ist eine Arroganz dahinter den Menschen es weg zu nehmen, die es brauchen und wollen. Gibt es denn noch ein Miteinander in der Gesellschaft?
Nein zur Abschaffung dieser Ehrentage.
Jedem das seine, wer es ableht kann es füe sich tun.
Liebes Hildchen,
ich bin mir nicht sicher, ob du vielleicht nur die Überschrift gesehen und meinen Text gar nicht gelesen hast.
Um Stellung zu den 10 Geboten zu nehmen, denke ich, hatten sie einst ihren Zweck und galten vielen Menschen wie eine Art Lebenshilfe. Wer behütet in ein einer Familie aufwächst, die Geborgenheit schenkt und in der alle Bedürfnisse wahrgenommen werden dürfen, dann braucht es meiner Meinung nach keine Gesetze, wie man sich zu benehmen hat. Schenken die Eltern ihrem Kind bedingungslose Liebe, statt es zu Gehorsam zu erziehen, braucht es überhaupt kein viertes Gebot.
Was „Jedem das Seine“ angeht, schaffe ich es nicht, mir auf die Zunge zu beißen. Ich finde, solche Sprüche sollten in der Vergangenheit bleiben.
Liebe Grüße, Evelin