… wenn auch nur in Teilzeit. ;-) Ja, in jedem von uns ist das freie Lernen tief verankert. Sich frei zu bilden ist die natürlichste und effektivste Methode der Aneignung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten – und Du weißt das! Wir brauchen keine Schulpflicht, um die Bildung unserer Kinder zu gewährleisten, sondern eine freie, kinder- und lernfreundliche Gesellschaft.
Ich bin ein bedeutender Paläontologe und Astronom
Wie der wohl bekannteste Freilerner unserer Zeit, André Stern, immer wieder betont, lernen Kinder vor allem durch das Spiel. Wenn ein Kind z.B. voller Begeisterung malt, reift mit jedem seiner Kunstwerke die Fähigkeit, die Bilder in seinem Kopf zu Papier zu bringen. Daher auch der Spruch: „Übung macht den Meister.“
Und am meisten macht die Übung Spaß, wenn man für das brennt, was man tut. Lernst Du Gitarre oder Klavier zu spielen, weil Du es „musst“, wird man es den Liedern immer anhören. Dann fehlt die Emotion, die „Seele“ in der Musik.
Ich erinnere mich, dass ich mich als Kind ständig für neue Dinge begeistern konnte. Das geschah ganz automatisch. So wusste ich mehr über die Urzeit und den Weltraum als jeder andere aus meiner Klasse.
Als in meinem Heimatort das Gelände für die neue Autobahn und die ICE-Strecke ausgehoben wurde (und ja, ich habe dagegen demonstriert!), sammelte ich zusammen mit einem Freund unzählige Ammoniten oder versteinerte Pflanzenreste in den von Baggern freigelegten Gräben. Eine wahre Fundgrube!
Und als es in der Zeitung hieß: „Hale-Bopp“ würde am Nachthimmel zu sehen sein, stand ich voller Begeisterung im Hof und bewunderte mit einem Feldstecher jenen Kometen auf seiner Reise durchs All. Gleichzeitig sah ich, wie viel mehr der Nachthimmel außerdem zu bieten hat, was mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist – wie Sternenhaufen und kosmische Nebel. Ich wollte mehr wissen, wälzte Bücher, ging in die Sternwarte und sog das vorhandene Wissen um die Welt da draußen in mich auf.
Jeder, der sich in dem wiederfindet was ich schreibe, und jeder, der sich mit Begeisterung einem Thema oder einer Tätigkeit widmet, ist ein Freilerner – oder weiß zumindest jetzt, wie „freilernen“ funktioniert. ;-) Welchen Dingen hast Du Deine Aufmerksamkeit gewidmet, ohne dass die Schule darin involviert war? Welche Hobbys und Interessen musstest Du einschränken, damit Du die Aufgaben erledigen konntest, die die Schule mit sich brachte?
Früher nannte man Freilerner auch Autodidakten. Es ist also nichts Neues und funktioniert erwiesenermaßen.
Das Lernen liegt Kindern im Blut
Ich weiß, dass sich meine Kinder für vieles begeistern können. Durch die Begeisterung eignen sie sich Fähigkeiten und Wissen an. Mir kommt es so vor, als wäre Langeweile ein Fremdwort für sie. Unsere Kinder „beschäftigen“? Das müssen wir nicht. Sie können das von ganz allein.
Unsere Kinder stellen Fragen, wollen wissen, wie die Welt funktioniert, warum wir vegan leben und andere nicht, wie die Buchstaben oder die Zahlen heißen. Sie wollen sich Bücher anschauen, Geschichten vorgelesen bekommen, sie als Hörspiel anhören und Videos schauen. Sie wollen bei dem, was wir Großen tun, dabei sein und helfen. Ich bin der Meinung, wir Eltern haben die Pflicht, die Fragen der jungen Menschen zu beantworten und ihr Bedürfnis, die Welt zu entdecken, zu stillen.
Natürlich gibt es Dinge, die wir nicht wissen oder können. Wir sind aber in der Lage, uns jederzeit Wissen und Können (auch gemeinsam mit den Kindern) anzueignen.
Außerdem gibt es unzählige Menschen da draußen, die bereit sind, ihr Wissen mit jungen Menschen zu teilen, z.B. die Arbeiter der hiesigen Kanalreinigung. Sie blühten regelrecht auf, als sie merkten, dass sich jemand für ihre Arbeit interessiert. Voller Enthusiasmus zeigten sie Evelin und den Kindern ihr Einsatzfahrzeug. Sie erklärten, wie viele Badewannen voll Wasser in den Tank auf dem LKW passen und was sie auf ihrem Bildschirm sehen, wenn die Kamera in der Tiefe filmt. Die Kinder, die gleich nebenan den Kindergarten besuchen, „durften“ nur von einem Baumstamm in der Nähe des Kindergartenzauns aus zusehen.
Mehr dazu erzählt Evelin im Online-Kongress „Empower the Child“ von Regina Sari.
Sperrige Inhalte, abstraktes Wissen
In einer Leserzuschrift wurden wir gefragt, wie wir unseren Kindern „sperrige Inhalte“ vermitteln, wie zum Beispiel Grammatik, Fremdsprachen, Rechtschreibung etc.
Rückblende …
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All die Diktate, die ich in den ersten Klassen schreiben musste, enthielten nur einen Bruchteil meines Sprachwortschatzes. Das kann also nicht der Grund gewesen sein, dass ich jetzt „recht schreiben“ kann. Ich erlernte die richtige Schreibweise hauptsächlich durchs Lesen. Ich prägte mir dabei das Aussehen der Wörter ein und war dann in der Lage, sie richtig zu schreiben.
Außerdem erlernte ich die Rechtschreibung durchs Nachschlagen von Wörtern, bei denen ich mir nicht sicher war, wie sie geschrieben werden. Ich wollte es wissen. Beim Erlernen einer Sprache gehört Begeisterung und das Erkennen der „Notwendigkeit“ dazu.
Genauso funktioniert’s mit der Grammatik. Die erlernt ein Kind einerseits durchs Lesen, andererseits durchs Sprechen. Gerade der Sprachgebrauch der Bezugspersonen und des Umfelds eines Kindes hat einen enormen Einfluss auf seine Sprachentwicklung. Ein prägnantes Beispiel dafür sind Dialekte.
Die Theorie der Grammatik fällt später umso leichter, je mehr die Kinder im alltäglichen Umgang mit der „korrekten Anwendung“ der Sprache konfrontiert sind. Vorgelesene Geschichten, Hörspiele, der Nachrichtensprecher im Radio, die Unterhaltungen von und mit „Erwachsenen“ – all das prägt das Verständnis für die Grammatik. Die Fachtermini für bestimmte Satzgefüge, Zeitformen und Ausdrücke sind meiner Meinung nach nicht so wichtig.
Worldschooling
Wenn wir auf Reisen gehen, sehen wir viel Neues. Wir bewundern die Schönheit von Landschaften und der Natur, lernen die Kultur und das Leben anderer Menschen kennen und unsere Kinder stellen oft fest, dass die Menschen am Urlaubsort eine ganz andere Sprache als Mama und Papa sprechen. Sie wollen aber verstehen, was gesprochen wird. Das ist für sie von größter Wichtigkeit.
Sie fragen uns dann, wie dieses oder jenes z.B. auf Englisch heißt. Oder sie wollen sich zuhause fremdsprachige Videos und Kinderlieder anschauen bzw. -hören. Am besten lernen (junge) Menschen eine Sprache durch ihren Gebrauch und durch den Kontakt zu Leuten, die anders sprechen. Gerade längere Aufenthalte im Ausland haben sich zum Erwerb von Sprachkenntnissen bewährt.
Junge Menschen sind Meister darin, neue Sprachen zu erlernen. Das sehen wir an unseren syrischen Freunden, deren Jungs bereits ausgesprochen gut deutsch sprechen können. Bei einer anderen befreundeten Familie stammt die Mama aus Russland und spricht mit ihren Kindern bevorzugt in ihrer Muttersprache. Sie wachsen wie selbstverständlich zweisprachig auf und kennen es nicht anders. Eine „Fremdsprache“ auf eine natürliche, greifbare Art und Weise zu lernen, ist viel effektiver als der frontale Sprachunterricht in der Schule. Deswegen funktionieren auch immersive Sprachlernprogramme wie Rosetta Stone so gut.
Ich selbst hatte zwar einige Jahre lang Französischunterricht in der Schule. Viel mehr als meinen Namen, mein Alter und meinen Wohnort bekomme ich aber nicht mehr auf Französisch zusammen. :D
Bildung mit allen Sinnen
Es braucht keine Schule, um alle Sinne eines Kindes anzusprechen, sondern das Spiel. Wir Menschen (auch die ganz jungen) lernen, indem wir etwas hören, sehen, nacherzählen und erklären oder selbst tun.
Wenn wir unseren Mädchen ein Buch vorlesen, wenn sie ein Video ansehen oder ein Musikstück hören, erzählen sie die Geschichten in ihrem Spiel nach. Sie verwandeln sich in die Figuren aus dem Film oder summen und singen die Lieder, die sie hörten. Sie zeichnen, malen und entwickeln kreative Lösungen. In ihrem Spiel steckt all das, was es zum „Lernen“ braucht: hören, sehen, nacherzählen oder -spielen und selbst machen.
Solange es für unsere Kinder immer einen Grund gibt, etwas zu lernen, z.B. dadurch, dass sie es voller Begeisterung in ihr Spiel einbauen können, werden sie das „Gelernte“ auch behalten. Unsere Hebamme, die die Geburt unseres dritten Kindes begleitete, meinte, dass unsere Große schon sehr viel über Geburtshilfe weiß, toll mitgeholfen hat und eine wunderbare Hebamme wäre.
Wir wurden auch gefragt, ob wir „didaktische Schulbücher“ verwenden. Nein, wir brauchen sie nicht. Wissen prägt sich viel besser ein, wenn es in „Geschichten“ verpackt ist. So ist es nicht verwunderlich, dass Stephen Hawking mit seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“ so erfolgreich war. Heute nennt sich das Verpacken von Informationen und Wissen in Geschichten auch „Storytelling“.
Wenn Du Deinen Kindern Wissen in der Gestalt von Feen und Zwergen, von Prinzen und Mäusen, Käferchen und Häschen anbietest, können sie es aufsaugen wie ein Schwamm. Das menschliche Gehirn nährt sich aus Bildern, Geschichten, Erfahrungen und dem Spiel. Reines, unverknüpftes „Faktenwissen“ braucht es nicht. Deswegen fällt es uns auch so schwer, etwas ohne Praxisbezug zu lernen und zu behalten.
Du kannst niemandem etwas lehren. Du kannst ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken. – Galileo Galilei
In diesem Sinne schenken wir unseren Kindern Vertrauen, beantworten ihre Fragen, hüten uns davor, ihr phantasievolles Spiel zu unterbrechen und sorgen dafür, dass sie immer kreativ sein können und neuen Input erhalten, z.B. durch Reisen, Geschichten, das Kennenlernen neuer Menschen usw. Als Freilerner oder Autodidakten werden sie erfolgreich lernen und gedeihen. Dafür brauchen sie keine Schulpflicht.
Alles Liebe
Patrick
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Um es zunächst einmal vorwegzustellen: Ich bin ein Befürworter der Schulpflicht, wenngleich ich das Schulsystem für alles andere als perfekt halte.
Dies hat eine Reihe von Gründen:
1. Die Schulpflicht sichert die Qualität der Bildung
Was ein Mensch lernen muss, um in der Welt gut zurechtzukommen ist nicht alleine von den eigenen Interessen abhängig, sondern auch von den Erfordernissen der Gesellschaft.
Es gibt gewisse notwendige Kulturtechniken, ohne die man in der modernen Welt schlecht klar käme oder zumindest nur niedrigbezahlte und wenig erfüllende Jobs annehmen könnte.
Das Erlernen dieser Kulturtechniken fällt aber nicht jedem gleich leicht. Bei einem rein nach eigenem Interesse bestimmten Lernen besteht die Gefahr, dass genau die Bereiche zu kurz kommen, mit denen ein Kind Schwierigkeiten hat und mit denen es sich deshalb nicht so gerne beschäftigt.
Ein Kind, welches beispielsweise Schwierigkeiten mit Mathematik hat, braucht durchaus externe Impulse, sich eben doch damit zu beschäftigen.
Die Schulpflicht stellt zumindest weitgehend flächendeckend sicher, dass bestimmte Grundkenntnisse erlernt werden und gibt auch Möglichkeiten, die Qualität des Gelernten zu überprüfen.
2. Homeschooling ist nur eine Möglichkeit für eine gewisse Elite
Damit Homeschooling funktioniert, müssen die Eltern selbst über gehobene Kenntnisse in einer ganzen Reihe von Fachbereichen verfügen.
Bei Euch zum Beispiel mache ich mir da wenig Sorgen. Ihr verfügt über akademische Bildung und Evelin zudem auch über ausgeprägte pädagogische Kenntnisse.
Eltern, die nicht über derartiges Bildungskapital verfügen, müssen dies mit finanziellem Kapital ausgleichen, indem sie für bestimmte Wissensbereiche kostspielige externe Lehrkräfte hinzuziehen.
Wer nicht über das geistige und/ oder das finanzielle Kapital verfügt, kann Homeschooling nur mit Abstrichen bei der Qualität durchführen.
Somit ist Homeschooling auch unsozial. Wenn die geistigen und finanziellen Eliten ihre Kinder aus dem Schulsystem nach und nach zurückzögen, würde dies unweigerlich zu einer noch stärkeren Prekarisierung der öffentlichen Schulen führen.
Die Schulpflicht kann dies zwar nur zum Teil verhindern, da viele Reiche ihre Kinder ohnehin auf Privatschulen schicken, aber eine Abschaffung der Schulpflicht würde diese Tendenz noch einmal radikal verschärfen.
3. Die Abschaffung der Schulpflicht führt zur Bildung von Parallelgesellschaften und Filterblasen
Die soziale Durchmischung öffentlicher Schulen führt zwar immer wieder auch zu Konflikten, aber letztlich kann anhand dieser Konflikte auch ein soziales Miteinander unterschiedlicher Menschen gelernt werden.
In einer öffentlichen Schule in einer Großstadt treffen Kinder aller möglichen Religionen, Nationalitäten und Weltanschauungen aufeinander.
Die Schule bietet Kindern oft auch eine Möglichkeit den repressiven Umgebungen in ihren Elternhäusern zu entfliehen. In manchen Fällen finde ich es sogar ausgesprochen gut, wenn Eltern gezwungen werden, ihre Kinder in eine öffentliche Schule zu schicken.
Nehmen wir einmal an, muslimisch-fundamentalistische Eltern wären der Meinung, ihre Tochter solle besser außer Koransuren nichts lernen, da es sie nur von ihren Aufgaben als Hausfrau und Mutter ablenken würden. Immer wieder werden ja auch Fälle von radikalen Christen bekannt, die gegen die Schulpflicht verstoßen, um ihre Kinder vor „Teufelswerk“ wie Sexualaufklärung und Evolutionslehre zu „bewahren“.
Oder nehmen wir an, Eltern wollten ihre Kinder strikt nach den Vorgaben irgendeiner obskuren Sekte beschulen. Da sind natürlich nur drei Extrembeispiele.
Aber um solche Extremfälle zu vermeiden, braucht es aus meiner Sicht schon zumindest eine ausgeprägte staatliche Kontrolle des Homeschoolings, die einer allgemeinen Schulpflicht recht nahe käme.
Dennoch denke ich, dass selbst bei einer Familie wie der Euren, der ich die Fähigkeiten und das Verantwortungsbewusstsein zum Homeschooling ohne weiteres zutraue, Homeschooling einen großen Nachteil für die Kinder hätte.
Die Kinder bewegen sich dadurch nämlich stets im Wertekosmos ihrer eigenen Eltern. Selbst wenn Ihr Euren Kindern viele Sozialkontakte außerhalb des Elternhauses ermöglicht, werden sich diese Kontakte meist innerhalb eines Kreises bewegen, der Eure Anschauungen und Interessen teilt.
Natürlich ist es zunächst einmal nichts Schlechtes, wenn sich Eure Kinder überwiegend in einer Umgebung aus wertschätzenden, ökologisch Bewussten und gebildeten Menschen bewegen. Nur leider ist dies eben nur ein Teilaspekt der Welt.
In einer öffentlichen Schule würden sie höchst wahrscheinlich auch mit Kindern konfrontiert werden, deren Elternhäuser Eure Ansichten nicht teilen.
Mit denen müssten sie sich dann auch in irgendeiner Form auseinandersetzen und gewännen dadurch die Chance eine eigene Position zu entwickeln, die sich vielleicht auch radikal von Eurer unterscheidet.
Durch Homeschooling würdet Ihr Eure Kinder gewissermaßen auch vor dem eigenständigen Denken „schützen“. Ich glaube nicht, dass das wirklich in Eurem Sinne ist, denn es würde Eurer eigenen Vision „Free your Family“ doch deutlich widersprechen.
An dieser Stelle möchte ich auch einen grundsätzlichen Kritikpunkt ansprechen, den ich an Eurem Erziehungs- bzw. Nichterziehungskonzept sehe.
Ihr nutzt zwar keinen autoritären Zwang um Euer Weltbild und Euer Lebenskonzept auf Eure Kinder zu übertragen, aber Ihr setzt, so wie ich das sehe, bereits durch die Intensität Eurer Beschäftigung mit Euren Kindern einen Frame.
Mit anderen Worten: Euer Erziehungsstil bringt es mit sich, dass ein größerer Teil der Lebenswirklichkeit Eurer Kinder sich um das Eigenleben Eurer Familie dreht, dessen Rahmen letztendlich, trotz aller Partnerschaftlichkeit, Ihr als Eltern setzt.
Damit schafft Ihr eine Art von Bubble der Wertschätzung und Nähe, die auf der einen Seite wunderschön ist, auf der anderen Seite aber recht wenig Platz neben sich lässt. Eine öffentliche Schule könnte Euren Kindern ein Stück Unabhängigkeit ermöglichen.
Das Leben ist ein Abenteuer und das Abenteuer beginnt dort, wo die Komfortzone aufhört.
4. Lernen ohne Zwang ist super… meistens
Grundsätzlich stimme ich Euch zu: Man lernt mit Spaß und ohne Zwang deutlich besser und auch nachhaltiger.
Die Dinge, die man widerwillig für die Klausur gebüffelt hat, vergisst man schnell. Die Dinge, die man mit Freude für´s Leben gelernt hat, die behält man bis ins hohe Alter.
Allerdings ist die Fähigkeit sich kurzfristig auch ohne intrinsische Motivation Dinge aneignen zu können durchaus wichtig und wie alle Fähigkeiten will auch diese Fähigkeit trainiert werden.
Fakt ist, dass das Leben uns nicht immer danach fragt, was wir gerade wollen. Oftmals müssen wir Dinge wissen und können, die uns eigentlich nicht interessieren.
Nehmen wir alleine mal das Beispiel Studium: Auch im eigenen Studienfach gibt es immer Teilaspekte, die einen mehr und andere, die einen weniger interessieren. Manchmal ist es aber unerlässlich auch die weniger interessanten Teilbereiche des eigenen Faches zu beherrschen um einen wirklich kompetenten Gesamtüberblick zu entwickeln. Und ein Bisschen dessen, was man eigentlich bloß für die Klausur gebüffelt hat, bleibt dann eben doch im Hinterkopf hängen (zumindest nach meiner Erfahrung).
Und manchmal kommt der sprichwörtliche Appetit eben auch beim Essen. Für meinen Beruf musste ich auch zahlreiche Dinge lernen, die ich zunächst ziemlich unspannend fand, an denen ich inzwischen aber Interesse entwickelt habe.
Dieses Interesse hätte ich nie entdeckt, wenn ich damals nicht gezwungen gewesen wäre, diese Dinge zu lernen.
Abgesehen davon finde ich, dass Ihr Theorie und Fachtermini in ihrer Bedeutung unterschätzt. Diese gewinnen nämlich dann an Bedeutung, wenn man sich eingehender mit einer Materie beschäftigen und diese mit anderen Fachleuten kommunizieren will.
Hallo Flo,
vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar!
Du denkst also, dass ein Mensch seine eigenen Bedürfnisse zurückstellen sollte, um den Anforderungen der Allgemeinheit zu genügen? Ich bin der Meinung, dass eine Gesellschaft vor allem dann wächst, wenn jedem Individuum die Freiheit zugestanden wird, selbst zu entscheiden, wie es sich in die Gesellschaft einbringen will. Vordergründig sollte ein junger Mensch seine Berufung finden, damit er ein glückliches, sinnerfülltes Leben führen kann. Ich halte es für die Aufgabe der Gesellschaft, ihm bei der Suche nicht im Wege zu stehen, ihn aber bestmöglich zu unterstützen. Und ich glaube, dass die Gesellschaft das besser kann als Schulen, in denen die Kinder nichts von der Welt um sich herum mitbekommen.
Bei meinen Kindern sehe ich, dass sie sich für die Welt, die Menschen und ihre Umwelt interessieren. Sie wollen spielen, tanzen, sich bewegen, alles in sich aufsaugen, mathematische, physikalische, biologische und chemische Zusammenhänge begreifen, Geschichten hören, verstehen, warum es Menschen gibt, die anders sind als wir, und wieso die Dinge so sind, wie sie sind.
Es sind die wenigsten Kinder, die mit Begeisterung in die Schule kommen und diesen Enthusiasmus über die Jahre beibehalten. Ich stelle immer wieder fest, dass die Schulpflicht kein Garant für eine flächendeckende, hochqualitative Bildung ist. Es sind die Kinder, die „keinen Bock“ haben, unter solchen Bedingungen zu lernen, die in unserer Gesellschaft ausgegrenzt werden, u.a. durch niedrig bezahlte und wenig erfüllende Jobs.
Ich denke auch, dass man die Qualität der Bildung und der Leistungsbereitschaft eher im Alltag evaluieren kann als durch eine Zensur auf dem Zeugnis.
Unsere Kinder wollen ein Teil der Gesellschaft sein. Sie sind hilfsbereit, höflich, bringen sich ein und wollen alles mitmachen.
Ich blicke mit Sorge darauf, dass ihnen diese Begeisterung durch die Schule genommen wird. In der Ecke, in der wir wohnen, gibt es auch keine Schule, wo ich unsere Kinder gut aufgehoben fühlen würde. Man hat die metaphorische Wahl zwischen Pest und Cholera.
Homeschooling ist nicht das, was wir propagieren. Es ist das „Freilernen“. Wie Du sagst, werden die wenigsten Eltern über gehobene Kenntnisse in vielen verschiedenen Fachbereichen verfügen (trotz „Schulpflicht“). Deshalb ist es gut, dass es auch andere Menschen gibt, die ihr Fachgebiet oder ihr Handwerk perfekt verstehen bzw. beherrschen. Die meisten Erwachsenen haben sogar eine rege Freude daran, ihr Wissen an junge Menschen weiterzugeben. Denn da ist jemand, der sich für sie und ihre Arbeit interessiert. Diese Form der Bildung ist höchst sozial. Und sie hat noch einen weiteren Vorteil: Diese „externen Lehrkräfte“ kosten nichts.
Auf diese Weise lernen unsere Kinder auch viele, höchst verschiedene Menschen kennen. Sie erkennen, was es mit der Gesellschaft auf sich hat und wie jeder seinen Teil beiträgt.
Du bezeichnest die Konflikte in den Schulen als notwendigen Part für ein soziales Miteinander. Das sehe ich nicht so. In den Schulen wird keine gewaltfreie Kommunikation gelehrt. Dafür fühlt sich auch niemand verantwortlich. Stattdessen werden Konflikte mit Fäusten und Stöcken geklärt. Oft mehrere gegen einen. Ausgeprägte Bissspuren und ausgerissene Haare inbegriffen. So jedenfalls kenne ich es aus meiner Kindheit. Ich glaube nicht, dass sich in der Zwischenzeit etwas daran geändert hat. Auch bei uns zuhause und im Freundeskreis unserer Kinder gibt es handfeste Auseinandersetzungen. Doch wir Erwachsenen zeigen den Kindern Alternativen dazu auf.
Ich kann Deine Argumente in Bezug auf die repressiven Elternhäuser, Fundamentalismus usw. absolut nachvollziehen. Auch wir halten nichts vom Homeschooling. Denn wir sehen bei vielen Homeschoolern die Isolation der Kinder. In solchen Fällen würden wir auch den Besuch einer Schule empfehlen. Ob das durch Zwang geschehen muss, steht auf einem anderen Blatt und soll an dieser Stelle auch nicht diskutiert werden.
Homeschoolende Fundamentalisten, Sektenanhänger usw. schließen sich selbst willentlich aus der Gesellschaft aus. Freilerner tun das nicht. Obwohl den beiden Gruppen gleich ist, dass sie keine Schule besuchen (wollen), ist die Herangehensweise eine völlig andere. Freilerner werden nicht dazu gezwungen, irgendwelchen Käse zu lernen. Freilernereltern vertrauen dem begeisterten Kind. Sie vertrauen darauf, dass es Fragen stellt und wir sind in der Pflicht, sie zu beantworten oder jemanden zu suchen, der sie beantworten kann. Ich bin der Überzeugung, dass weltoffene, in die Gesellschaft integrierte Freilerner, die frei entscheiden dürfen, womit sie sich beschäftigen, der Schlüssel für die menschliche Zukunft sind.
Immer mehr Arbeitsplätze fallen weg, weil Maschinen, Computer und Roboter sie ersetzen. Das fängt bei so einem kleinen Helfer wie diesem hier an. Und endet mit der Erschaffung eines Wohnhauses aus einem Drucker. Die Arbeitswelt wird sich gravierend verändern.
Das, was unsere Kinder heute in der Schule gelehrt bekommen, ist auf die Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft ausgerichtet. Später wird ganz anderes Wissen, werden ganz andere Fähigkeiten benötigt. Es ist die Pflicht von uns Alten, die Begeisterung unserer Kinder fürs Lernen zu erhalten. Das kann durch die Schule geschehen (einige freie Schulen bieten entsprechende Ansätze), aber auch durch die Eltern und das Umfeld. Ein starrer Lehrplan, in dem es einzig und allein um „Wissen“ geht, hat ausgedient. In der Zeit gibt es einen interessanten Artikel zum Thema. Darin geht es nicht um die Schulpflicht, sondern darum, wie wir Bildung gewährleisten können. Ein Zitat, das ich letztens in einem „Sozialen Netzwerk“ las, finde ich sehr treffend:
Du hast Recht! Vor einer in unserer Gesellschaft leider weitverbreiteten Unart wollen wir unsere Kinder tatsächlich bewahren: der Ausnutzung von Tieren, egal ob für Nahrung, Kleidung, Kosmetika, Vergnügen oder Medikamente. Das hat was mit unserer elterlichen Verantwortung zu tun. Es gibt wenige Schulen, die einen vegetarischen Speiseplan haben. Schulen mit einem veganen Speiseangebot sind hingegen wahre Exoten. Hier schließt die Gesellschaft unsere Kinder aus, weil sie vegan lebende Menschen allzu oft diskriminiert.
Du schreibst: „Euer Erziehungsstil bringt es mit sich, dass ein größerer Teil der Lebenswirklichkeit Eurer Kinder sich um das Eigenleben Eurer Familie dreht, dessen Rahmen letztendlich, trotz aller Partnerschaftlichkeit, Ihr als Eltern setzt.“ Ja, das stimmt. Und das ist schon seit Menschengedenken so gewesen. Dass andere Menschen mehr mit den eigenen Kindern zu tun haben als man selbst, ist eine eher neuzeitliche Erscheinung. Die Unabhängigkeit entwickelt sich von allein. Da müssen wir gar nicht intervenieren. Unsere Großen können die Unabhängigkeit in der Gesellschaft von vertrauten Menschen (Großeltern, Freunde, Verwandtschaft) üben. Wir sind keine Helikoptereltern, die immer dabei sein müssen, um aufzupassen, dass auch ja nichts passiert.
Du führst das Studium als Beispiel dafür an, dass wir vom Leben nicht danach gefragt werden, was wir wollen und Dinge wissen müssen, die uns nicht interessieren. Das finde ich seltsam, schließlich hat man sich das Studienfach selbst herausgesucht und sich mit den Lehrinhalten auseinandergesetzt. Im Gegensatz zum Schulbesuch trifft man die Entscheidung für ein Studium freiwillig.
Selbstverständlich besteht der Unterrichtsstoff auch aus Themen, die weniger interessant sind. Aber wie soll das auch anders gehen? In meinem Studium habe ich von der Abwassertechnik, über die erneuerbaren Energien, das Facility Management und die Gebäudeautomation bis hin zur Zentralheizung alles gelernt. Die Grundlagen wie Mathematik, Physik, Chemie, technische Mechanik und Thermodynamik, Elektrizitätslehre, CAD, Programmierung etc. gehören einfach dazu, um ein allumfassendes Verständnis für die „Gebäude- und Energietechnik“ zu erlangen – auch, weil die Gewerke in der Arbeitswelt oft zusammenarbeiten müssen. Das ist jedem Studenten vorher bewusst. Der eine will eben die Heizungsanlage für Einfamilienhäusern berechnen, der andere Energieausweise für Nichtwohngebäude ausstellen, und der nächste will die Reinraumtechnik für Labore und Krankenhäuser planen. Die Hochschule liefert das Grundgerüst, den Rahmen für die Berufsausübung.
Vielen unserer Professoren und Dozenten war es wichtig, dass wir vor allem Folgendes verinnerlichen:
Der wahre Meister seines Faches ist übrigens der, der komplizierte Sachverhalte so erklären kann, dass sie jeder versteht. ;-)
Liebe Grüße
Patrick
Hallo Patrick,
zunächst einmal danke für die freundliche und superschnelle Antwort. Wenn alle Menschen im Internet so vernünftig und sachlich auch über kontroverse Ansichten diskutieren würden, hätten wir bestimmt eine wesentlich angenehmere digitale Welt.
Jetzt möchte ich Dir Deine Frage beantworten: „Du denkst also, dass ein Mensch seine eigenen Bedürfnisse zurückstellen sollte, um den Anforderungen der Allgemeinheit zu genügen?“
Meine Antwort darauf ist ein klares „Jain“.
Einerseits denke ich schon, dass gesellschaftliche Konventionen Sinn für ein Zusammenleben machen und man für diese auch gelegentlich eigene Bedürfnisse zurückstellen muss. Auf der anderen Seite sollte man die Konventionen durchaus hinterfragen und sich ihnen nicht in einem konformistischen Kadavergehorsam unterordnen.
Lustigerweise sehen meine überwiegend politisch links eingestellten Freunde mich als ziemlich konservativ an, während mich meine konservativen Arbeitskollegen für einen etwas verrückten linken Querdenker halten.
Das grundsätzliche Problem bei einer Legalisierung von Freeschooling ist, dass es kaum möglich wäre, dies zu legalisieren, ohne gleichzeitig auch das Homeschooling , welches Du ja auch für ziemlich problematisch hältst, mit zu erlauben.
Außerdem scheinen mir zumindest einige der Probleme des Homeschoolings auch beim Freeschooling zu bestehen, insbesondere das Problem der Anforderungen an den Bildungsstand der Eltern, das ich im letzten Beitrag angesprochen habe.
Auch wenn Du natürlich Recht hast, dass viele freundliche Erwachsene gerne bereit sind, einem neugierigen Kind ihren Beruf zu erklären, halte ich das nicht für hinreichend, um wirklich die notwendigen Kulturtechniken zu erlernen.
Klar kann man aus dem Lernen durch Anschauung viele nützliche Dinge erfahren. Man kann zum Beispiel lernen, wie man einen schönen Garten anlegt, welche Pflanzen man essen kann, welche Pflanze wann blüht u.s.w.
Solches Wissen ist ohne Frage wertvoll. Die komplexen Prozesse, die in einer Pflanze bei der Photosynthese stattfinden, versteht man dadurch eher nicht.
Wie Du selbst in Bezug auf Dein Studienfach ausführst: „Die Grundlagen wie Mathematik, Physik, Chemie, technische Mechanik und Thermodynamik, Elektrizitätslehre, CAD, Programmierung etc. gehören einfach dazu“.
Die Grundlagen, um diese Dinge zu verstehen sind nun einmal komplexe Formeln und Theorien, welche sich leider nicht dadurch erlernen lassen, dass einem Kind ein paar freundliche Kanalarbeiter ihr Auto erklären. Vielmehr braucht es hier schon einen systematisch aufgebauten Unterricht.
Zwar gibt es sicher auch viele Mathematiker oder Ingenieure, die gerne mal einem Kind ein mathematisches Problem erklären würden, aber einen strukturierten Mathematikunterricht über mehrere Jahre hinweg machen die dann halt meist doch nicht kostenlos (wäre wohl auch etwas viel verlangt…).
Außerdem haben oft auch nur Eltern mit einem gewissen sozialen Background die geistigen Ressourcen, die dafür nötig sind, den Kindern immer wieder abwechslungsreiche Lernangebote zu ermöglichen.
Sozialschwache Personen und sogar viele Durchschnittsbürger wären mit so einer Aufgabe schlicht überfordert, weshalb ich bei meiner These bleibe, dass auch Freeschooling nur für eine gewisse Elite wirklich geeignet ist.
Dies wird aus meiner Sicht sogar noch durch die von Dir angesprochenen Tendenzen unserer Gesellschaft verstärkt, in der immer mehr niedrig- und mittelqualifizierte Aufgaben von Maschinen übernommen werden. Vor zweihundert Jahren mag es ausgereicht haben auf dem elterlichen Bauernhof zu helfen, um auf diese Weise alles Notwendige über das Betreiben eines Bauernhofes zu lernen. Das ist aber heute nicht mehr so, weswegen der theoretischen Bildung inzwischen eine weitaus größere Bedeutung zukommt.
Bezüglich der Situation an öffentlichen Schulen kann ich Deine Bedenken gut nachvollziehen. Auch aus meiner Sicht herrscht dort manchmal eine grauenhafte Ellenbogenmentalität.
Auf der anderen Seite leben wir aber nun einmal in einer konkurrenzbetonten Gesellschaft. Die Schulen sind daher nur kleine Abbilder dessen, was auch im Großen passiert.
Dies muss uns nicht gefallen und es gäbe viele Gründe, dies endlich zu ändern. Meine Kinder aber gänzlich davor abschirmen zu wollen, hielte ich für den falschen Ansatz, da ich sie dann nämlich nicht auf die Welt wie sie tatsächlich ist vorbereiten würde, sondern auf eine Welt, die lediglich meinen idealisierten Vorstellungen entspricht.
Bezüglich der in Schulen vorkommenden Handgreiflichkeiten vermittele ich meinen Kindern ein Prinzip, welches mir als Kampfsportler sehr am Herzen liegt.
Das Prinzip heißt: „Beginne niemals einen Kampf, aber wenn Dir jemand einen Kampf aufzwingt, dann tue alles was nötig ist, um ihn siegreich zu beenden.“
Die dafür notwendigen Techniken vermittele ich ihnen, wenn es an der Zeit ist, intuitiv und spielerisch.
Etwas problematisch finde ich das von Dir angesprochene Konzept der gewaltfreien Kommunikation, auch wenn ich seinen Nutzen beispielsweise in der Konfliktmediation durchaus anerkenne.
Allerding würde es den Rahmen dieser Diskussion über Schulpflicht und Freeschooling sprengen, wenn ich Dir meine Kritik an diesem Konzept detailliert darlegen würde. (Wenn es Dich interessiert, könnte ich Dir dazu noch einmal einen anderen Beitrag schreiben)
Dass die Lernkonzepte an öffentlichen Schulen einer dringenden Überholung bedürften, sehe ich auch so. Da sind andere Länder teilweise deutlich moderner.
Ich glaube aber schon, dass sich inzwischen an vielen Schulen der State of Mind geändert hat und der klassische Frontalunterricht immer mehr zugunsten eines vernetzten und ganzheitlichen Lernens aufgegeben wird.
Wer es mit seinem Gewissen dennoch überhaupt nicht vereinbaren kann, sein Kind auf eine öffentliche Schule zu schicken, hat zudem auch noch die Möglichkeit auf alternative Schulformen zurückzugreifen, seien es nun Montessori, Waldorf oder die von Euch angesprochenen Freien Schulen. Gut fände ich, wenn es alternative Schulkonzepte endlich nicht nur auf privater (und damit teurer) Basis , sondern auch auf öffentlicher Ebene gäbe, um eben nicht nur den Kindern der Gutverdiener den Zugang zu solchen Schulen zu ermöglichen.
(Wobei ich Montessori und freie Schulen sehr befürworte, dem Waldorf-Konzept aufgrund seiner Nähe zu einer für meine Begriffe obskuren Esoterik eher kritisch gegenüberstehe)
Die Sache mit dem veganen Essen ist natürlich schon ein Problem. Auch wenn ich Eure Einstellung in Bezug auf Nutzung von Tieren nicht teile, habe ich vollstes Verständnis dafür, dass Euch diese Sache sehr wichtig ist.
Allerdings würde Euch auch niemand daran hindern, Euren Kindern ausreichend vegane Rohkost mitzugeben, dass sie nicht auf die Schulkantine angewiesen sind. Ich denke es würde ihnen auch niemand verbieten, sich mit ihrem eigenen Essen zu den anderen Kindern an den Tisch zu setzen und die Kosten für das Essen habt Ihr ja auch wenn Ihr Eure Kinder nicht zur Schule schickt. In diesem Sinne werdet Ihr, zumindest aus meiner Sicht, da nicht ausgegrenzt.
Grundlegend widersprechen möchte ich Dir aber bei einem Satz, den ich für sachlich falsch erachte: „Dass andere Menschen mehr mit den eigenen Kindern zu tun haben als man selbst, ist eine eher neuzeitliche Erscheinung.“
Es ist eher eine neuzeitliche Erscheinung, dass Kinder in einer mehr oder weniger kleinen Familie von ihren Eltern dermaßen umsorgt werden, wie das bei Euch der Fall ist.
Dass Kinder hingegen bereits im jungen Alter zu fremden Herren in die Ausbildung (oder auch den Frondienst) gegeben wurden, war schon im europäischen Mittelalter ziemlich normal und dies war für die Kinder weitaus härter und einschneidender als ein gesetzlich vorgeschriebener Schulbesuch von sechs bis sieben Stunden am Tag mit ausgedehnten Ferien und freien Wochenenden.
Auch im alten Griechenland gab es bereits Modelle zentralisierter Erziehung, z.B. in Sparta, wenngleich diese nach heutigen Maßstäben äußerst „rustikal“ waren.
Bei sogenannten „Naturvölkern“ findet die Betreuung der Kinder oftmals auch nicht überwiegend durch die eigenen Eltern, sondern vielmehr durch die gesamte Dorfgemeinschaft statt.
Dies ist für uns allerdings aus zwei Gründen nicht mehr praktikabel:
Erstens leben wir nicht mehr in solchen Dorfgemeinschaften und zweitens beschränkt sich der Lebens- und Erfahrungshorizont eines modernen Menschen auch nicht mehr auf ein kleines Dörfchen und die umgebenden Wälder.
Im Übrigen bezweifele ich auch, dass sich die Unabhängigkeit von alleine entwickelt. Ich habe den Eindruck, dass es tendenziell immer mehr junge Leute gibt, die bis zum 25. Lebensjahr oder gar noch länger nicht von ihrem komfortablen Elternhaus loskommen.
Bis zu einem bestimmten Alter finde ich es durchaus o.k., wenn man sich als Eltern entscheidet, seine Kinder ihre Unabhängigkeit nur in einem vertrauten und geschützten Kreis erproben zu lassen.
Irgendwann sollten sie aber auch in Kontakt mit der Welt außerhalb des geschützten Kreises kommen und diese Welt kann nun einmal ganz schön hart sein.
Freiheit besteht aus meiner Sicht nicht darin, sich einen nach außen geschützten kleinen Freiraum zu schaffen, sondern sich dieser Welt selbstbewusst zu stellen.
Ich finde die Schule ist nicht der schlechteste Platz, langsam an das herangeführt zu werden, was meine Mutter immer als den „Ernst des Lebens“ zu bezeichnen pflegte.
Liebe Grüße
Florian
Hallo Florian,
das Hinterfragen von Konventionen ist auch eines unserer Hauptanliegen. In manchen Bereichen machen es sich die Menschen nämlich selbst viel zu schwer.
Ich halte es für unproblematisch, das Freilernen zu legalisieren. In England, Irland und Portugal ist es z.B. problemlos möglich. In der Tschechischen Republik wird es zumindest geduldet. Andere Länder haben eine kontrollierte Bildungspflicht, wodurch auch das Homeschooling bestimmten Regeln und Anforderungen unterliegt. Diese sind von Land zu Land unterschiedlich. Aber auch in all den Ländern ohne Schulpflicht wachsen die Kinder zu selbstbestimmten Erwachsenen heran, die sich in die Gesellschaft einbringen. Lediglich Deutschland und (seit geraumer Zeit) auch Schweden haben EU-weit diese strenge „Imschulgebäudeanwesenheitspflicht“. ;-)
Letztendlich bin ich überzeugt, dass unsere Gesellschaft nicht zusammenbrechen wird, nur weil es ein paar Freilerner oder Homeschooler gibt. Denn der Schulbesuch ist der Weg des geringsten Widerstands und wird für viele Menschen auch der praktikabelste sein. Denn eines darf man nicht vergessen: Freilernen ist „unkomfortabel“. Denn man muss da sein, um die Fragen der Kinder zu beantworten und ihnen Material sowie Möglichkeiten zur Verfügung stellen, mit denen sie ihre momentane Begeisterung für ein Thema ausleben können: Bücher, Spiele, Betriebsführungen, Experimente, Bauanleitungen und -material, Museen usw. Auch in den oben genannten Ländern besuchen die meisten Kinder eine Schule. Nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie es dürfen – und weil es praktisch ist. In vielen Ländern der Dritten Welt ist der Schulbesuch bekanntermaßen ein Privileg. Bei uns ist die Politik mit der SchulPFLICHT jedoch übers Ziel hinausgeschossen.
Selbstverständlich gibt es komplexe Zusammenhänge wie die Photosynthese. Doch braucht es zur Vermittlung dieses Wissens wirklich Schulen? Ich halte diese Institutionen nur für eine von vielen Möglichkeiten, Wissen bereitzustellen. Die bedeutendste: Bücher. Alles, was die Lehrkräfte lehren, haben sie sich auch überwiegend unter Zuhilfenahme von Büchern erarbeitet.
Dass es keinen Mathematikunterricht über Jahre hinweg braucht, beweisen die vielen Möglichkeiten, einen Schulabschluss „extern“ zu erlangen. Im Allgemeinen ist es kein Problem, auch ohne den regulären Schulbesuch zu seiner Berufung zu finden oder sogar sehr erfolgreich zu sein bzw. werden. Es gibt unzählige Beispiele erfolgreicher Freilerner. Neben André Stern, dem wohl bekanntesten Freilerner, gibt es noch andere Berühmtheiten und Unternehmer, die nicht zur Schule gingen oder keinen Schulabschluss hatten, siehe hier und hier
Du schreibst, dass wir „nun einmal in einer konkurrenzbetonten Gesellschaft“ leben, die Schulen „nur kleine Abbilder dessen, was auch im Großen passiert“ sind und es viele Gründe gäbe, dies endlich zu ändern. Und mein Anliegen ist es, meinen Teil dazu beizutragen, indem ich meinen Kindern vorlebe und zeige, dass es auch anders geht. Es ist wie beim Bloggen: Mit Konkurrenzdenken kommt man nicht weit. Alle Menschen sollten zusammen auf ihre gemeinsamen Ziele hinarbeiten, nicht im Wettstreit.
Ich will meine Kinder nicht darauf vorbereiten, dass sie mit den Repressalien einer ungerechten Gesellschaft klarkommen. Ich wünsche mir, dass sie den Mut und die Kraft haben, diese Umstände zu ändern, wenn sie es wollen.
Die „Gewaltfreie Kommunikation“ von Marshall B. Rosenberg ist ein Konzept, durch das wir fast alle Konflikte in Politik und Gesellschaft lösen können. Das Hörbuch ist wirklich kurzweilig und aufschlussreich. Da es auch nicht viel kostet, kann ich es nur empfehlen. Vielleicht stimmt es Dich um. Ich selbst bin leider nicht mit der GfK aufgewachsen, sonst würde ich heute in vielen Situationen anders reagieren. Das hält mich aber nicht davon ab, immer wieder zu üben und meine eigenen Aussagen und Reaktionen zu reflektieren.
Es gab sicherlich auch damals unterschiedliche Ansichten, wie das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ausgesehen hat. Da hat sich nicht viel verändert. Nur standen früher nicht diese Betreuungsangebote zur Verfügung, sodass viele Kinder in die alltägliche Arbeit eingebunden waren. In anderen Ländern wie Ägypten ist das noch immer so.
Jede Familie ging und geht ihren eigenen Weg, ganz nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Ein Problem wird das erst, wenn dieser Weg dem anderen nicht „passt“. Ich denke, wenn jeder nach der „Goldenen Regel“ handeln würde, hätten wir derartige Probleme nicht. Kurz: Tu, was Du willst, solange es niemand anderem schadet.
Die Unabhängigkeit des Nachwuchses entwickelt sich von ganz allein. Entweder, weil die Kinder selbst das Bedürfnis danach haben oder weil die Situation es erfordert. Ich kenne z.B. keinen Erwachsenen, der noch mit bei seinen Eltern im Bett schläft. ;-)
Und hey, ich wohnte bis zu meinem fast 30. Lebensjahr auf dem Grundstück meiner Eltern (hatte aber schon meinen eigenen Haushalt). Evelin ist hingegen mit 18 ausgezogen, kann aber viel schlechter Mathe. ;-)
„Diese Welt kann nun einmal ganz schön hart sein.“, schreibst Du. Ja, sie kann, muss es aber nicht. Es ist alles eine Frage der inneren Einstellung. Natürlich gibt es immer wieder Herausforderungen, denen man sich stellen muss, und unangenehme Aufgaben zu erledigen, weil es die Begebenheiten erfordern.
Wir wollen niemanden dazu bekehren, Freilerner zu werden oder die eigenen Kinder nur selbst zu betreuen. Die Entscheidung hierfür muss jede Familie selbst treffen. Alle Eltern wollen i.d.R. nur das Beste für ihre Kinder. Was für uns richtig ist, muss es nicht für andere sein. Ich wünsche mir von der Gesellschaft (und der Gesetzgebung) jedoch, dass sie alternativen Wegen des Bildungserwerbs nicht im Wege steht.
„Freiheit“ ist ein Begriff, den die Bundesrepublik zwar auf den Rand ihrer 2-Euro-Münzen schreibt. An der Umsetzung muss meiner Meinung nach noch gearbeitet werden. In Zeiten, in denen das Schengener Abkommen auf wackeligem Fundament steht, bin ich diesbezüglich eher pessimistisch.
Liebe Grüße
Patrick