Liebe nahe und ferne Bekannte, Freunde und Familienmenschen,
regelmäßig einen Gruß schicken, das sollte ich mir vielleicht für 2024 vornehmen. Alle paar Wochen ein kleines Update in die Welt senden: Wo stecken wir Weltenbummler denn jetzt schon wieder? Wofür begeistern sich die jungen Freilerner gerade? Wie kommen die Kinder wieder mit einer neuen Sprache zurecht? Oder: An welchen Kanten versuchen wir Eltern gerade zu schleifen?
Nun, die kleinen Updates gibt’s nicht. In unsere Telegrammgruppe mogeln sich bisher „nur“ die Meldungen aus dem Blog. Instagram füttere ich auch nicht mehr, weil es ein nerviger Zeitfresser ist. Wer also etwas über unsere letzten 12 Monate erfahren will, wird sich mit diesem zusammenfassenden Artikel begnügen müssen.
Housesitting für alle
Leises Hundejaulen in der Ferne, ein knisterndes Holzfeuer, sanft rauschender Wind: Dieses Jahr begann ohne nerviges Silvester-Radau. Wir waren in Ungarn. Zu siebt, also Patrick und ich, unsere Sprösslinge und unser Bello, hüteten wir Haus und Hund.
Aber nicht nur wir waren Housesitter. Unsere Katze liebt es ganz konventionell. Reisefieber plagt sie eigentlich nie. Stattdessen begnügte sie sich mit der wohl weltbesten Katzensitterin und ihren Eltern.
Auf ins Lieblingsland
Aus familiären Gründen hatte sich unsere Reise etwas verzögert. Die Zeit für unsere ursprüngliche Reise nach Italien wäre zu knapp gewesen. Und sie würde zu viele Kilometer fressen. Eine andere Route musste her …
Und die führte über schneebedeckte Berge, durch vereiste Tunnel und sagenhafte Landschaften. Aber nein, zurück ins Erzgebirge ging es nicht. Die Rede ist von Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro.
Wir fuhren mitten durch, rauf und runter, über quietschende und extrem schmale Brücken. Patrick hat eine Vorliebe für spritsparende Google-Routen. Falls euch irgendwann mal „Die schrecklichste Strecke durch Südosteuropa“ auf Netflix begegnet: Das stammt von uns. ;-)
Von unreinen Hunden und italienischen Engeln
Nach ein paar Tagen erreichten wir Albanien. Spontan ein Hotel zu finden ist im Januar kein Problem. Schwierig wird es allerdings, wenn man einen Hund dabei hat. Deshalb unser Tipp: Hotels mit italienischen Besitzern suchen. Ihre albanischen Landsleute könnten Hunde unter Umständen für unrein halten. Das kannten wir schon aus Bosnien-Herzegowina. Es würde nämlich kein Engel ins Haus kommen, wäre dort ein Hund.
Nun, die italienische Empfangsdame des x-ten Hotels war jedoch ein Engel. Wenn auch nur ein katholischer. Nach unserer verzweifelten Suche bis spät in die Nacht begrüßte sie uns überschwänglich. Wir bekamen das beste Zimmer und fühlten uns wie Prinzen und Prinzessinnen. Und der gute Hund durfte sich natürlich aussuchen, auf welcher güldenen Decke er schlafen wollte.
Die Kinder wurden noch in den hoteleigenen Kindergarten eingeladen. Eine liebe Kindergärtnerin bespaßte unsere kleinen Blondschöpfe. Und am Morgen erwartete uns ein ausgiebiges Frühstück, extra für die deutsche Familie mit dem lieben Hund… Mille grazie, Hotel Luani!
So gut angekommen, frischten wir unser Wissen über Burgen noch einmal auf. Von der Burg Shkodra hatten wir einen optimalen Blick auf das überschwemmte Land. Die Schneemassen aus Bosnien und Montenegro hatten in Nordalbanien für Hochwasser gesorgt. Ein Land, das im Sommer eher ausgetrocknet wirkt, zeigte uns seine unter Wasser stehenden Moscheen und Hütten.
Rund um Vlora ist es besonders schön
Nicht so im Süden. Wir fuhren natürlich noch etwas weiter. Schließlich brauchten wir es noch ein bisschen wärmer. Wollt ihr wissen, warum es uns dort so gut gefällt? Es gibt:
- frisches Obst und Gemüse – regional und viel leckerer als in Deutschland,
- klitzekleine Badeausflüge ins Meer,
- ein Haus direkt am Strand, das dank der Nebensaison bezahlbar ist,
- ein römisches Dorf zum Erkunden und
- ein paar griechische Nachbarinseln um die Ecke,
- Naturschauspiele wie Sturm, Seebeben gepaart mit Sonnenbaden.
All das hat Südalbanien für uns zu einem Genuss gemacht. Aber das Wichtigste sind vielleicht die Menschen. Die Menschen in Albanien, wie auch in Rumänien, sind für uns die freundlichsten Menschen, die wir in Südosteuropa kennengelernt haben – gerade was ihre Gelassenheit gegenüber Kindern angeht. Mit unserer großen Kinderschar stoßen wir auf Reisen nicht oft an. Nur in Deutschland. Ich habe mir aber sagen lassen, dass das genau so sein muss. :-)
Kleinkind im Ausland verloren – (k)ein Schock fürs Leben
Den Doppelgeburtstag im Februar feierten wir in einer kulinarischen Fußgängerzone. Vegane Pizza, Sonnenschein, extra Wasser für unseren Hund: Es war perfekt … bis unser noch Zweijähriger plötzlich verschwand. Wir Eltern kauten entspannt die letzten Reste in unserer Sitzecke, während die Kinder mit ihren Rädern glücklich glucksend um uns herumdüsten. Hin und her, am Platz vor und zurück – und von jetzt auf gleich verschwand der Jüngste aus meinem Blickfeld.
Ich sprang auf und kommandierte meine drei „großen“ Kinder zur Suche nach links, während ich in die Straße zur Rechten rannte. Sie nahm kein Ende. Auch nicht die vielen Passanten und die unzähligen Einmündungen in andere Gassen, in die mein Sohn hätte einbiegen können. Ein Häuserblock glich dem anderen, ich spähte in alle möglichen Hinterhöfe und fühlte, wie sinnlos meine Suche war.
Nie wieder würde ich meinen Geburtstag mit Freude begehen können. Ich könnte meiner Tochter nie wieder einen unbeschwerten Geburtstag bescheren. Und der nächste Tag würde noch schlimmer werden. Das war der Geburtstag meines jüngsten und jetzt verschollenen Sohnes. Er würde entweder nicht mehr leben oder irgendwo als albanisches Kind aufwachsen, vielleicht von Banden verschleppt, wer weiß wohin, Muttersprache und Ursprungsfamilie längst vergessen. Ich rannte und rannte, rief und schrie und kann mich gar nicht mehr erinnern, ob mein Kopf rot oder blass aussah.
„Hey Madame, excuse me please, are you looking for a little boy?“, hielten mich zwei adrette Männer an. „We saw one on the other side, maby fivehundred meters further.“ Mein Marathon führte in die andere Richtung.
Unterwegs sammelte ich meine drei großen Kinder ein. Gemeinsam rannten wir weiter. Meine Beine brannten. Wir überquerten Tankstelleneinfahrten und neue Straßenkreuzungen. Schließlich stoppten wir vor einer Menschenmenge.
Zwei Polizisten, drei Männer mit Süßigkeiten und Trinkpäckchen mit geknickten Strohhalmen zur Hand, zwei oder drei Frauen mit zärtlich streichelnden Händen und liebevollen Worten, traurig dreinblickende Kellner – und mittendrin strampelte jemand. Ein lauthals schreiender, wütender Junge. Und der versuchte, dem geduldigen Polizisten in den Bauch zu kicken.
Oh Mann, wir fielen uns irgendwie alle in die Arme. Alle, wirklich alle, haben geholfen und brachten nicht den geringsten Vorwurf. Dass das kleine Laufrad in die falsche Richtung lenkte, nämlich zu einer ähnlich aussehenden Pizzeria, stellte sich schnell heraus.
Wollt ihr wissen, was der Papa gemacht hat? Er wartete geduldig bei der „richtigen“, „unserer“ Pizzeria. Hätte er auch noch nach dem Jungen gesucht, hätte es wohl nach Zechprellerei ausgesehen…
Was Deutschland lebenswert macht: Gartenarbeit und Kloßmasse
Im April landeten wir wieder auf deutschem Boden. Gut gebräunt haben wir unsere Beete im Garten beackert. Im Grünen zu wohnen und den eigenen Pflänzchen beim Wachsen zuzusehen, das macht uns schon glücklich. Hier in unserer Homebase haben wir alles. Eine eigene kleine Bibliothek, feste Freunde der Kinder, alle möglichen Lernutensilien und vor allem Kloßmasse. Denn die fehlte den Kindern im Ausland wieder einmal mehr als deutsches Brot oder vegane Süßigkeiten. :-D
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Leben wie die Maulwürfe: Wir haben viele Zuhause
Weil unsere schulpflichtigen Töchter in Deutschland nicht gemeldet sind, halten wir uns strikt an die Aufenthaltsregelungen. Ich weiß nicht, wie stark das unsere Nachbarn juckt. Ich hoffe, dass sie bei Fragen einfach spontan zu einem Plausch bei uns vorbeikommen würden. Trotzdem verhalte ich mich in dieser Sache lieber ganz korrekt. Das schont die Nerven. Und so sparen wir die letzten Kröten besser für die nächste Reise als für einen Rechtsstreit.
Der Sommer lockte unsere Töchter an den Balaton. Unter den Fittichen der Großeltern veranstalteten sie die tollsten Tauchkurse, genossen Traktorfahrten auf dem Land, tobten nach Herzenslust mit einem Dutzend junger Hunde und bekamen zuletzt das Gefühl, ohne Eltern zusammenzuhalten.
Nachdem wir wieder eine Familie zum Katzen- und Haussitten gefunden hatten (was schwieriger ist als gedacht), ging‘s nach Rumänien. Voriges Jahr haben wir günstig ein einfaches Haus erworben. Es hilft vor allem als freilernerfreundlicher Wohnsitz. Der Rattenschwanz: Wir müssen uns um ein zweites Haus kümmern.
Auch wenn man in diesem unbestreitbar reizvollen Land toll, mit Genuss und Ruhe leben kann, passt es momentan nicht gut mit unserem Leben überein. Wenn wir unsere Eltern regelmäßig um uns haben wollen – einmal im Süden und einmal im Norden -, führt das bereits zu ausgedehnten Strecken. Gut, dass wir uns auf den stundenlangen Fahrten die Zeit wunderbar mit Hörspielen vertreiben können. So haben wir in diesem Jahr viel über die griechische Mythologie, eine kurze Geschichte der Menschheit usw. gehört. Das ist auch eine Art (Frei-)Lernen auf Reisen.
Freilernen? Passt!
Selbstbestimmtes Lernen, frei von Lehrplänen, Stillsitzen, Hofpausen und unendlichen Arbeitsblättern, das liegt uns immer noch. Dass Sprachen, Literatur und Geschichte gerade während eines Auslandsaufenthaltes nur so zu uns fließen, können sich viele vorstellen.
Aber was ist mit Mathematik?
Ginge es nach dem sächsischen Bildungsplan, wären unsere Kinder langsam fit im kleinen Einmaleins. Sind sie aber nicht. Stattdessen begeisterten sie sich in diesem Jahr für Bruchrechnung, ausländische Währungen samt Wechselkursen, Kreise und Pyramiden. Uuups, dafür sind sie doch eigentlich noch zu „klein“…
Mathe lernen ohne Beschulung: aus der Praxis und der Gehirnforschung
Familie im Ausland? Nichts wie hin!
Den Sommer bis in den Oktober hinein verbrachten wir mal „getrennt“ und mal gemeinsam vor allem am Balaton. Ungarn ist bislang nicht unser Wunschland, nicht unser Lieblingsland. Herr Orban verfolgt weder eine „Freilernerpolitik“, noch lockt er uns mit niedrigen Preisen. Aber gerade dort pflegen wir den Kontakt zu unseren Lieblingsmenschen.
Sozialkontakte sind nicht immer sozial
Da wir gerade bei der Kontaktpflege sind, verliere ich noch ein paar Worte über die sozialen Kontakte unserer Kinder. In unserem „Wurzelort“ haben sie neben ihren erwachsenen Freunden auch einige Freunde unter den Nachbarskindern und in ihrem Kinderchor. Alle können sich damit arrangieren, dass unsere Kinder weder mit guten Noten noch mit neuen Schimpfwörtern prahlen. Natürlich kommt bei uns trotzdem an, welcher Erstklässler schon wieder „P****lutscher“ gerufen hat oder welche Viertklässler „F*ck you, ihr Schlampen“ aus dem Fenster brüllen. Hach, haltet mich für egoistisch! Ich bin sehr froh, dass unsere vier Schützlinge etwas weniger von all dem Abbekommen. Frei von Mobbing, Ausgrenzung, Mutproben und Bevormundung. (Und was sonst gerne so Negatives über Schulen verschwiegen wird).
Natürlich verpassen sie auch Gutes: kinderfreundliche Pädagogen, „nette“ Kinder, eine Turnhalle, freien Eintritt in Museen, Freizeitkurse und Schwimmbäder. Spiel-, Bastel- und Lernutensilien sind kostenlos. Apropos: Wusstet ihr, dass jedes deutsche Schulkind den Staat mehr als 9.000 Euro im Jahr kostet (Quelle)? Aber meckern wir lieber über die Eltern der Homeschooler: Das sind Sozialschmarotzer. Wer von denen geht schon Vollzeit arbeiten? Und die Mutter ist sowieso nur das Heimchen am Herd… (Bei uns ist das Patrick, der kann nämlich super lecker kochen.)
Unter Gleichgesinnten ist es mehr als gut
Genug gejammert! In diesem Jahr haben wir sowohl auf Reisen als auch in Deutschland tolle Menschen kennen gelernt. Von wem ich besonders schwärme? Von anderen Freilernern natürlich! Ihr glaubt gar nicht, wie entspannt es ist, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein! Die Kinder sind stundenlang miteinander beschäftigt. Sie genießen die Freundschaft in vollen Zügen. Niemand grenzt aus, alle geben aufeinander Acht. Sie sprechen so rücksichtsvoll und es ist einfach so herrlich miteinander. Ich glaube, genau das denken die Kinder auch über uns Eltern.
Kinder sind laut
Wer jetzt denkt, bei uns wird’s nicht laut und die Kinder (und Eltern) beherrschen die GFK von Geburt an, dem kann ich sagen: Leider ist es nicht so. Oder zum Glück? Alle Jahre wieder höre ich, wie wild meine Kinder wären. Das kann selbstverständlich daran liegen, dass es bei uns an Zucht und Ordnung mangelt. Wenn damit gemeint ist, insbesondere kleinen Jungs und Mädchen das Stillsitzen und das Mundhalten anzutrainieren, dann kommt das aus kranken Köpfen.
Wer sich über Kinderlärm beschwert, wurde früher sicher selbst klein und still gehalten. Oder man kann sich einfach nicht mehr an den Krach der eigenen Kinder erinnern, weil sie ihren „Lärm“ schön brav in der Krippe oder von früh bis spät in Kita, Schule und Hort auslebten.
Ich habe mir früher in den Kitas und Schulen, also lange vor den eigenen Kindern, gedacht, dass mir kleine Lottas, Pippis und Michls frei und unverbogen lieber sind. Ich fand es ihnen gegenüber irgendwie nicht fair, sie zu Napolaschülern oder stillen Fernsehkonsumenten zu machen. Wenngleich man es (für den Moment) leichter hätte. Und ich bin mir sicherer denn je, dass aus freien Kindern, die sich natürlich auch mal kampeln und anbrüllen, gesündere und soziale Erwachsene werden.
Wünsche für Ideensammler
In diesem Sinne sende ich eine bunte Mischung aus neuen Reiseerfahrungen, Lebensideen, Lernmotivation, Mut zu Kinderkrach und Familienfrieden aus unserer weihnachtlichen Zentrale in Deutschland, die wir im nächsten Monat für neue Abenteuer wieder verlassen werden.
Ich wünsche euch alles Gute für das Neue Jahr!
Eure Evelin
Langzeitreisen, Freilernen, Heimisch fühlen – unser Jahresrückblick 2023 von (A)lbanien bis (Z)uhause von Free Your Family ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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