Ich sehe keine Grenzen. Du?Menschen in unserer Gesellschaft haben den Tick, alles zu kategorisieren und einzuordnen. Das Schubladenprinzip hilft ihnen bei der Bewältigung ihrer Alltagseindrücke und erleichtert ihnen das Denken. Ich habe das Gefühl, dass in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren in zwei Kategorien eingeteilt wird, wenn es um das Thema Flüchtlinge geht: Da gibt es Begriffe wie „Gutmenschen“ auf der einen Seite und „Nazis“ auf der anderen.

In ihren Kommentaren zu unseren Youtube-Videos zu anderen Themen fanden wenige Individuen für uns ganz klar die ihrer Meinung nach passenden Kategorien: Einerseits meinen sie, wir passen mit unserem noch nicht ganz abgelegten Thüringischen Dialekt gut in braune Anzüge, zumal wir derzeit in Sachsen residieren. Andererseits kicherten wir eines Abends über einen Kommentar, in dem ein junger Herr sich über uns beschi**ene, linke Gutmenschen empörte.

Nun, ich schließe mich keiner derartigen Gruppierung an. Ich lebe nicht davon, mir ein makelloses Image zuzulegen, ein unschuldiges Wohlfühlimage, von dem andere sich gerne einlullen und mitreißen lassen. Ein vulgärer Antisemitismus, den Nazis oder Islamisten zur Schau stellen, passt ebenso wenig zu mir. Ich denke, dass es keine politisch korrekte Gesinnung braucht – keine Ideologie – um anderen zu helfen.

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Es macht mir keinen Spaß, in Gut und Böse einzuteilen, denn ich will differenzieren und verstehen. Ich teile meine Gedanken und Erfahrungen mit Flüchtlingen in diesem Blogpost nicht, um besonders viel Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, sondern um die sich epidemisch ausbreitende Schwarz-Weiß-Malerei zu hinterfragen.

Bildung nach Plan

Letzten Sommer sind wir mit unseren Kindern ins Erzgebirge gezogen. Hier verbringen wir eine intensive Großfamilienzeit, bevor in zwei Jahren unsere Schulflucht startet.

Die ersten, freundlichen und offenen Menschen, mit denen wir uns hier befreundeten, war eine Familie, die ein halbes Jahr vor uns ins Erzgebirge zog. Ihr „Umzug“ mit wenig Hab und Gut führte mit dem Bus mehrere Wochen lang über die „Balkanroute“. Natürlich weiß im Jahr 2017 jeder, dass ich hier von Flüchtingen aus Syrien spreche (besonders leidenschaftlich äußert sich „moody“ in ihrem Blog Babykram & Kinderkacke über Flucht, Fluchtursachen und die Lösung des „Problems“). 

Wir fänden es ideal für unsere Kinder, vor unserem Fortzug ins Ausland mit anderen Kulturen in Berührung zu kommen. Zum einen käme es unseren Mädchen zugute, um in den kommenden Jahren keinen Kulturschock zu erleiden. Zum anderen wäre das eine ideale Gelegenheit unsere Englischkenntnisse aufzufrischen. Dazu kam es nicht. Doch von vorn…

Weshalb wir arabisch sprechen

Wir lernten die Familie an einem warmen Sommertag kennen. Sie bewohnen in der nächsten Stadt eine kleine 3-Zimmer-Wohnung (eine Übergangswohnung) in Spielplatznähe. Für die Kinder trug ich Papier und Stifte bei mir. Unsere Mädchen fanden mit den vier Jungs zusammen und beschäftigten sich ausgesprochen friedlich und ausdauernd mit den Materialien.

Gemeinsam auf dem Spielplatz - hier im Herbst

Zunächst kamen wir Eltern ins Gespräch auf Englisch, in dem wir von unseren Goldkindern erzählten: Namen, Alter und Vorlieben. Auf einer Landkarte zeigten wir uns gegenseitig, wo wir unsere Wurzeln hatten und durch welche Gebiete unsere Reisen hergeführte. Der Deutschkurs unserer neuen Freunde sollte erst nach den Sommerferien beginnen, in den sie nicht ohne Vorkenntnisse schlüpfen wollten. Deshalb sprechen wir seit unserem zweiten Treffen auf Wunsch der Familie kein Englisch mehr und greifen nur noch für kompliziertere Erklärungen darauf zurück.

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Patrick und ich erkannten, dass unsere Töchter auf diese Weise kein Englisch lernen werden. Stattdessen schnappen sie ständig ein paar Brocken Arabisch auf, was sich auf ihr Spielverhalten auswirkt. Zuhause spielen sie „Kalifs“. Das ist ein in diesem Blogartikel verwendetes Pseudonym für den Familiennamen der arabischen Familie. ;-)

Unsere fast Zweijährige ruft ihre Schwester mit „Daij, daij“ (was wohl so viel wie „Komm, komm“ bedeutet), worauf unsere Große mit tieferer, lauterer Stimme als üblich „arabisch erzählt“; Sie spielen, sie sprächen Arabisch und mischen dabei verschiedene Laute zusammen. Dieses Spiel setzt sich bis in den Schlaf fort. Nachts höre ich mein großes Kind manchmal etwas auf „Arabisch“ sprechen.

Wöchentlich soziale Arbeit

Für unsere gemeinsamen Treffen mit Kalifs trage ich stets eine Auswahl an nützlichen Dingen bei mir: Kinderbücher zum Vorlesen, eine Uhr zum Üben der Uhrzeit, Straßenmalkreide, Holzbuchstaben oder Malutensilien. Als ich eines Tages Tastsäckchen mit heimischen und exotischem Gemüse für ein Ratespiel bei Kalifs gefüllt hatte, kam die zuständige Betreuerin aus einem Verein vorbei, der sich der Flüchtlingshilfe verschrieben hat.

Flüchtinge können sich in der ersten Zeit in Deutschland bei Anträgen, Übersetzungen, Arzt- oder Amtsbesuchen helfen lassen. Diese Arbeit übernehmen verschiedene Vereine. Im erzgebirgischen Aue ist das der help e.V.

Ich nahm das Angebot der Betreuerin an, mich über diesen Verein ehrenamtlich für unsere neuen Freunde zu engagieren. Das kommt glücklicherweise meinem Studium zugute, gewinne ich dadurch doch Praxiserfahrung im Behörden-Dschungel, im Umgang mit Schulen, Kindergärten und Ärzten. Neben einer geringen Aufwandsentschädigung für die ehrenamtliche Tätigkeit gibt es die Möglichkeit, für besondere Ausflüge einen Zuschuss zum Eintrittsgeld zu erhalten – ein nettes Gimmick.

Veganismus und arabische Küche – passt das zusammen?

Patrick, unsere zwei Kinder und ich besuchen seither wöchentlich diese Familie aus Syrien. Die 35-jährige Mama erwartete uns bei den ersten Treffen mit mindestens zwei Sorten arabischer Kuchen. Obwohl wir mit unseren Essgewohnheiten aus dem Rahmen fallen, war sie ihnen gegenüber aufgeschlossen und buk seither die veganen Alternativen.

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Ich finde das arabische Gebäck quietschsüß, aber lecker. Letzten Herbst hielten wir unsere Gedanken zum Zuckerkonsum in einem Blogartikel fest und stellten damit klar, dass wir unsere Kinder und unsere eigenen Körper – sofern es uns möglich ist – vor dieser weißen Gefahr schützen. Die Verständigung mit unserer lieben, neuen Freundin war in den ersten Wochen noch etwas holprig. Wir hatten uns vieles zu erzählen und zu erklären, so dass wir mit dem Thema „Zucker“ niemanden überfallen wollten.

Wir hoben uns das für unser fünftes (?) Treffen auf. Seitdem bereitet die liebe Hausherrin Früchte als Nascherei am Nachmittag zu oder der Papa mixt zusammen mit seinen Jungs Smoothies. Den starken, schwarzen Kaffee tauschten wir gegen Tees oder Wasser.

Manchmal kommen wir spontan zu einem (wirklich!) späten Frühstück zusammen. Dann gibt es dünnes Fladenbrot, Gemüse, herzhafte Aufstriche, Marmelade und Bohnen. So macht das Kombinieren allen Veganern Spaß.

Einmal im Monat sind wir zum Abendessen eingeladen, weil ein Elternabend oder ein später Termin ansteht. Manchmal bringen wir uns mit Selbstgekochtem ein – zum Beispiel mit einem italienischen Gemüsegericht. Das passt gut zum arabischen Gaumenschmaus, ist jedoch oft keine Augenweide.

Unsere liebe Freundin richtet das Essen ungeheuer hübsch an: verziert mit Gemüse, so dass wir uns an unseren ersten Urlaub mit Kind in Ägypten erinnern. Wer einmal die selbstgemachten Falafel unserer Freunde gekostet hat, würde all die anderen aus Kaufhallen und Dönerbuden sofort ausspucken! Vielleicht darf ich eines Tages dieses Familienrezept mit Dir teilen.

Arabisches Essen

Du nicht sprechen, Du nicht Wünsche haben!

Um auf Wohnungssuche zu gehen, Termine in Ämtern, in Kindergarten oder in den Schulen der Kinder wahrzunehmen, bin ich viel mit dem Papa der Familie unterwegs. Die Erlebnisse sind oft herabwürdigend, manchmal erfreulich und selten amüsant, wenn ich beispielsweise für die Ehefrau unseres Freundes gehalten werde.

Mir fällt auf, dass Menschen aus anderen Ländern viele Einheimische mit „Sie“ ansprechen, was diese respektlos mit einem plumpen „Du“ erwidern. Besonders bei einer Wohnungsvermittlerin stellte ich fest, dass sich ihre Fürsorge in unangebrachten Botschaften widerspiegelte. Damit ihr euch ein Bild machen könnt, werde ich versuchen, es auszuformulieren: „Fritz, Du müssen gehen zu Jobcenter! Wenn Brief haben, Du müssen machen das. Wenn Du nicht machen, dann Frau Müller nix mehr für Fritz!“

Ich übertreibe nicht, kann es aber auch nicht schönreden. Mitunter werden Flüchtlinge behandelt als wären sie kleine, dumme, unmündige Kinder über die man sich erheben kann (wobei selbst mit Kindern – oder besser – besonders mit Kindern nicht derart umgegangen werden darf).

Es geht auch anders

Glücklicherweise geht es auch anders! Obwohl ich meine Töchter nicht in einen Kindergarten schicke, bestätigen sich meine in meiner Vergangenheit als Erzieherin gewonnenen, positiven Erfahrungen oft. Die Mitarbeiter der KiTa bemühen sich, den Kindern der syrischen Familie ein fröhliches zweites Zuhause in der Zeit zu schaffen, in der die Eltern den Deutschkurs in der Volkshochschule besuchen. Ergeben sich auf Grund der Sprachbarriere Probleme, erörtern die KiTa-Mitarbeiter in einem höflichen Gespräch mit den Eltern eine Lösung. Meist hilft bereits die Übersetzung durch einen sowohl arabisch als auch deutsch sprechenden Freund der Familie via Telefon.

Selbst mit den Schulen konnte ich als Fürsprecherin für Bildungsfreiheit und Freilernen positive Erfahrungen sammeln. Die großen Jungs gehen auf unterschiedliche Grundschulen. Kennst Du den Begriff „DAZ-Unterricht“? Das bedeutet soviel wie „Deutsch als Zweitsprache“. Bei einem Elternabend in der Schule des zweitältesten Sohnes unserer Freunde erfuhr ich, dass die einzigen beiden ausländischen Mitschüler der Klasse von allen anderen Kindern freundschaftlich angenommen wurden. Ich denke, das spricht für eine engagierte Schule mit ausgesprochen liebevollen LehrerInnen.

Respektlose Flüchtlinge?

Ich kann nicht sagen, dass sich die LehrerInnen der anderen Grundschule nicht bemühen würden, doch der raue Umgangston ist mir noch aus der Zeit geläufig, in der ich als Vertretung an besagter Schule arbeitete. Strenge und Gehorsam waren Machtmittel Nummer Eins.

Kinder sind nicht Schuld an ihrem Verhalten, sondern vielmehr der Spiegel unserer Gesellschaft – oder des Lehrpersonals. Der älteste Junge ist bei seinen Eltern gehorsam und aufmerksam. Er ist zudem äußerst intelligent. Ich staune oft, wie schnell er Rechenaufgaben mit Begeisterung löst. Probleme treten nur in der Schule auf, wenn sich bei Sachaufgaben aufgrund fehlender Deutschkenntnisse des Jungen Ungeduld unter den Lehrern ausbreitet oder weil es sich für die Kinder nicht falsch anfühlt, ohne Vorankündigung ihren Durst zu stillen oder die Toilette aufzusuchen.

Auf Bäume klettern

Die zuständige DAZ-Lehrerin teilte mir untermalt mit vielen Smilies per Whatsapp mit, dass alles Schimpfen und Anbrüllen nichts nützt.

Medien stellen das Verhalten männlicher, muslimischer Schüler mitunter so dar, als ob sie in Frauen als führende Kraft ein Problem sähen. Dabei begegnet die komplette Familie „Kalif“ mit all ihren arabischen Freunden mir als Frau ausgesprochen höflich und achtend.

Mir scheint, eine friedliche Integration gelingt dort gut, wo wir uns voller Würde auf andere einlassen, wenn wir uns bemühen zu verstehen und versuchen uns in unser Gegenüber hineinzuversetzen. Sie gelingt, wenn wir indoktrinierten Hass und geschürte Angst überwinden.

Islamismus oder Frieden?

Nun verliere ich noch ein Wort darüber, wie „streng“ gläubig unsere Freunde aus Syrien leben. Wenn wir Freitags spontan vorbeischauen, können wir den Gebetsteppich zu Gesicht bekommen – ebenso den Koran. Ab und zu besucht der Familienpapa mit dem Ältesten einen hergerichteten Moscheeraum der Kleinstadt.

Die Mama trägt in der Wohnung ein mit Perlen geschmücktes, elegantes, langes Kleid, bei dem sie die Ärmel auch mal hochschiebt. Ihr Kopftuch trägt sie locker, so dass man ihr getöntes Haar erkennen kann. Außerhalb der Wohnung kleidet sie sich zu dieser Jahreszeit in Jeans, Pulli und einen knielangen Wintermantel. Im Sommer zieht sie einen Rock mit Blazer darüber an.

Ich gehe zwar nicht in Hotpants zu unseren syrischen Freunden, schlüpfe jedoch genauso wenig in lange Röcke. Es gibt auch keine Probleme, wenn ich meine Kinder in syrischer Gesellschaft stille.

Muslimische Frauen nehmen ihre Kopftücher mitunter sogar ab, wie ich bei einem Frauenfrühstück erfahren durfte. Auch im Wartezimmer einer Frauenarztpraxis unterhalten sich die Frauen fröhlich, während die Kopftücher luftig sitzen und die übereinander geschlagenen Beine unter den Mänteln hervorblitzen.

Im weiteren Freundeskreis der Familie gibt es gleichwohl Frauen, die nach einer Art „altem Islam“ leben, wie uns der Familienvater aus Syrien erklärte (vielleicht hilft es zum Verständnis, den katholischen mit dem evangelischen Glauben zu vergleichen). Diese Frauen heften ihr Kopftuch enger, die Mäntel reichen bis zum Fußboden und Verabschiedungen mit Handschlag meiden sie. Sie stellen das ganze Gegenteil von dem dar, was ich von meiner Verwandtschaft aus Tunesien kenne.

Und doch sehnen sich alle nur nach einem:

Frieden.

Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: dies ist mein und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Not und Elend und wie viele Schrecken hätte derjenige dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: „Hütet euch, auf diesen Betrüger zu hören; ihr seid verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die Erde niemandem.“

(Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) in „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“)

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