Unrealistisches, altersgerechtes, pädagogisch wertvolles Spielzeug ist wertlos für Kinder. Wir schreiben über die Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern in ihren Vorstellungen von gutem Spielzeug und plädieren dafür, das Spiel unserer Kinder ernstzunehmen.
Hauptsache kindgerecht!
Im Gegensatz zu früher, als die Kinder noch mit Blechtrommel und Holzauto um den Weihnachtsbaum geflitzt sind, gibt es heute einen riesigen Markt an buntem, scheinbar perfektem Spielzeug, welches von den Herstellern in Zusammenarbeit mit „Pädagogen“ genau auf das Alter der kleinen Konsumenten „angepasst“ wurde.
Es beginnt zur Geburt mit dem Babykuscheltuch für das Neugeborene. Kinder sollen sich an Klappbüchern mit darin abgebildeten Bällen, Clowns und Quietscheentchen erfreuen, bei denen es sich der Verlag nicht nehmen ließ, auch den richtigen Begriff danebenzuschreiben. Viel Spaß versprechen den Null- bis Dreijährigen merkwürdig geformte, TÜV-geprüfte „Gegenstände“ ohne Ecken, Kanten und verschluckbare Kleinteile. Vorschulkinder puzzeln mit Vorliebe Holzpuzzles und Grundschüler beschäftigen sich den ganzen Nachmittag mit „ihrem Lego“. Für die ganz großen Kinder, uns „Erwachsene“, wurden vorgefertigte Kritzelblöcke oder Mandalas zum Ausmalen erfunden.
Konsumsucht im Spielzeugparadies
Letztendlich sollen wir und unsere Kinder so viel konsumieren wie es nur geht – und zwar Dinge, die möglichst kurz nach Ablauf des Gewährleistungszeitraums kaputtgehen oder nach Erscheinen des nächsten Modells gnadenlos veraltet erscheinen. Dann muss neues beschafft werden. Der Kreislauf schließt sich. Das Problem dabei kennen wir aus dem Film Plastic Planet: das Spielzeug landet im Müll und belastet Umwelt und Tiere.
Der spielt ja nur!
Vielleicht hörst Du manchmal noch im Geiste die Stimmen Deiner Eltern oder Lehrer: „Der spielt ja nur!“, „Komm, jetzt mach doch mal was Richtiges!“, „Die Spielregeln gehen aber anders!“ oder vergleichbares. Sie nahmen Dein Spiel nicht ernst.
Dabei nimmt jedes Kind sein Spiel selbst absolut ernst. Für alle Kinder ist es mit gnadenloser Ernsthaftigkeit verbunden, wenn sie selbst entdeckte Kieselsteine, Tannenzapfen oder gepflückte Blumen verschenken. So bringen sie ihre aufrichtige Liebe und ihre Verehrung dem Beschenkten gegenüber zum Ausdruck. Nehmen wir diese Geschenk nicht an, sind Kinder bitter enttäuscht. Meinst Du, dass sie den selben Stolz verspüren und dieselben Gefühle ausdrücken können, wenn sie zum Muttertag die Karten verschenken, die sie unter Anleitung der Erzieher hergestellt haben?
Das Phantasiespiel
Kinder können sehr phantasievoll spielen. Hierzu braucht es kein vorgefertigtes Spielzeug. Ein Kieselstein symbolisiert im Moment, in dem er vom Kind als Spielzeug entdeckt wird, womöglich einen Edelstein, ein Tannenzapfen fliegt als Rakete zum Mond, die Stühle bilden zusammengestellt eine Eisenbahn und aneinandergereihte Bürsten stellen den Stau auf einer Autobahn nach.
Oft benötigt das Spiel gar kein Material: Unsere Mädchen „naschen“ liebend gern imaginäre Beeren, die Finger werden zu Spielfiguren oder sie schlüpfen in die Rollen ihrer Freunde.
Angeschafftes Spielzeug
In unserem Zuhause gibt es trotzdem viel angeschafftes Spielzeug. Von angeschafften Spielsachen erwarten Kinder, dass sie „richtig“ funktionieren! Sie wünschen naturgetreue, realistische Apparate, Figuren und Gegenstände, mit denen sie lange und voller Begeisterung spielen können. Kinder freuen sich über ein „echtes Auto, wie wir es fahren“ und sind fasziniert von der Realität im Kleinformat. Kein buntes Auto mit Kugelrädern, blinkenden Augen, einem Lachmund und einer quietschenden Nase kann diese Anforderungen erfüllen!
Das Problem ist folgendes: Kinder glauben uns. Wenn wir Großen das Spiel der Kinder nicht erst nehmen, konditioniert es sie; Sie konzentrieren sich schnell auf all die Dinge im Warenhaus, von denen wir glauben, sie seien „kindgerecht“ oder „pädagogisch wertvoll“.
Unsere Töchter und Söhne passen sich an und finden sich damit ab, dass ihr Spiel und ihre innere Welt nicht ernstgenommen wird bzw. nicht relevant ist. Daher verlangen sie irgendwann nur noch nach Fillys, Malheften, Puzzles, Kuschelgemüse mit Augen für den Kaufmannsladen, Merchandise-Artikeln mit der Maus aus der Sendung mit der Maus und allem, was bei ihren Eltern, Großeltern, Freunden und anderen Bezugspersonen gut ankommt.
Ein paar Beispiele
André Stern zählt in seinem neuen Buch „Spielen um zu fühlen, zu lernen und zu leben“ aktuelle Beispiele auf: „Es (das Kind, A.d.V.) will zeichnen und bekommt etwas zum Ausmalen. […] Sie (Kinder, A.d.V.) lieben Tiere und bekommen Pokémons. Also lieben sie Pokémons. Und denken in Pokémons. Sie lieben Autos und bekommen ‚Cars‘. Sie lieben Puppen und bekommen Barbies.“
Stellen wir uns vor, wie ein Kleinkind in der Küche voller Begeisterung mit Kochlöffeln auf Töpfen und Pfannen herumtrommelt: Unter Umständen wird es eines Tages den Wunsch nach einem Schlagzeug äußern. Wie enttäuscht wird es sein, wenn man seinem Wunsch mit einem Micky-Maus-Schlagzeug nachkommen wird?
Jungen und Mädchen, die die Welt und die Wissenschaft begreifen wollen, werden nicht nach dem günstigsten Mikroskop oder Teleskop Ausschau halten, welche von „erfahrenen Pädagogen“ speziell für Kinder entwickelt wurden, also aus „garantiert unbedenklichem“ Kunststoff bestehen, an denen man demzufolge getrost auch mal lecken kann.
Stattdessen wollen sie Apparate, die ihren Aufgaben gerecht werden. Geben wir unseren Kindern „funktionierendes Spielzeug“, zeigen wir unseren Kindern, dass wir sie und ihr Spiel ernst nehmen. Wir drücken unsere Wertschätzung ihnen gegenüber aus und geben ihnen die Chance auf eine fortwährende, aus ihren Veranlagungen und Begabungen stammende Entwicklung hin zu glücklichen und begeisterten „Erwachsenen“, die ihr volles Potential entfalten können.
Möchtest Du sehen, mit welchem Spielzeug unsere Kinder spielen? Teil 2 unserer Videoreihe „Spielzeug für Kinder“ gibt einen Einblick.
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Liebe Evelin, lieber Patrick
Sind spontan entstandene kreative Phantasie-Spiele nicht etwas, das jedes Kinderherz höher schlagen lassen :-)
Wie so oft, denkt der „Erwachsene“ oder der „Experte“ am besten zu wissen, was für das Kind gut ist.
Das genannte Beispiel mit dem Schlagzeug empfinde ich als sehr passend und realistisch. Ein Kind kennt den Unterschied zwischen einem Schlagzeug und einem Spielzeug-Schlagzeug. Ich habe das selbst mit einer Gitarre erlebt.
Leute, die gegen das Nichterziehen sind, weisen häufig darauf hin, dass Erziehung notwendig sei, damit Kinder lernen respektvoll zu sein.
Wie sollen Kinder Respekt (kennen)lernen, wenn sie selbst von ihren Eltern nicht so behandelt werden?
Gezwungenermaßen finden sich Kinder damit ab, dass ihre Sicht nicht ernst genommen wird und dass diese, wie ihr schreibt, nicht relevant ist.
Das Gefährliche daran ist, dass das Kind dadurch lernt, als Mensch nicht relevant bzw. unzulänglich zu sein..
Danke für diesen super Artikel, er regt zum Nachdenken und Hinterfragen an!
Danke für Deinen wunderbaren Kommentar! Worte, die mir zeigen, wofür wir all das hier machen. :-) Schön, dass wir andere Menschen mit unserer Botschaft, Message (wie auch immer) erreichen. Ich hoffe, der Traum von einer „richtigen, funktionierenden Gitarre“ ging noch in Erfüllung! :-) Liebe Grüße, Patrick
Euer Artikel hat mich sehr an eine von mir seit der Kinderzeit geliebte Geschichte von Astrid Lindgren erinnert: DIE PRINZESSIN, DIE NICHT SPIELEN KONNTE. Sie ist in dem Geschichtenband ‚Im Wald sind keine Räuber‘ enthalten, gibt es in Büchereien kostenlos zu lesen… Übrigens glaube ich, dass Kinder auch mit vorgefertigten Dingen wundervoll spielen können…selbst dafür reicht ihre Phantasie… Als Erwachsene mit Ansichten, die eher in eure Richtung gehen, habe ich es selber ausprobiert. Erstmal alles an die Seite schieben, eine freie Fläche schaffen und ENTSCHEIDEN, womit geht’s los? Bei uns gibt’s nur kleine Jungen, allesamt fasziniert von Eisenbahnen, es gibt fast nichts Schöneres als am Bahnhof ‚Züge zu schauen‘. Habe mich also eingearbeitet, tolle Strecken mit der BrioBahn zu bauen, mit Landschaften, Ausflügen, wilden Wäldern und Tieren… Mir liegt es weniger am Herzen, eine perfekte Umgebung mit perfekt zu meinen Ansichten passenden Menschen zu finden, sondern es juckt mich eher in den Fingern, aus dem ‚vorhandenen Material‘ was zu machen, das kann so viel Spaß machen und andere geradezu mitreißen… Zu meinem 61. habe ich auch eines dieser Malbücher für Erwachsene bekommen, was mich etwas erstaunte, denn ich male selber sehr viel, aus eigenen Quellen. Und dann habe ich es ausprobiert, war gerade etwas krank und traurig und dann juckte es mich wieder in den Fingern und ich vergaß das alles: Ihr glaubt ja nicht, was man aus ‚vorhandenem Material‘ alles machen kann, es hat solchen Spaß gemacht! Ich verschenke diese Bücher jetzt selber sehr gerne, gerade an Kranke, und Menschen, die seit ihrer Schulzeit kaum einen Stift angerührt haben, versinken in ihren Farbspielen, malen, wie ich, munter über den Rand und drumherum. Die Familienkinder, mit denen ich male, sind allerdings gar nicht daran interessiert, sie lieben meine Bildergeschichten, die wir zusammen malen und erfinden… NATÜRLICH kommen Züge und die Feuerwehr darin vor, aber auch Berge, Wasserfälle, Zelte, Boote, Seen, Bäume… Viel wichtiger als irgendwo eine kleine Gemeinschaft der Seligen zu gründen ist mir persönlich das Gestalten des ‚Mittendrinseins‘, merkt man, nicht wahr? Aber jeder sucht sich seins und ich bin weiter gespannt auf eures. Liebe Grüße, Monika
Danke für Deine umfangreichen Eindrücke, die jedesmal eine Bereicherung unserer Blogposts sind! :-) Liebe Grüße, Patrick
Euer Artikel hat mich an eine von mir sehr geliebte Geschichte von Astrid Lindgren erinnert: Die Prinzessin, die nicht spielen konnte‘. Sie ist in dem Erzählband ‚Im Wald sind keine Räuber‘ enthalten und in Stadtbüchereien meist vorhanden…kennt ihr sie? Nach meinen Erfahrungen sind Kinder aber so großartig phantasievoll, dass sie auch mit ‚vorgefertigten‘ Materialien spielen können:-), macht auch Spaß. Ich betrachte das einfach wie die Spielfiguren beim Schach oder Kegel beim Menschärgeredichnicht, es kommt auf den Einsatz an und was man draus macht. Eine freie Fläche schaffen und dann ‚die Welt aufbauen‘, aus dem, was da ist, das liegt mir mehr, als nach der idealen Umgebung und ‚passenden‘ Materialien ( und Menschen) zu suchen und mich damit zurückzuziehen. Genauso betrachte ich auch die Mandalabücher ,für Erwachsene‘ :-)… Ich habe eines zum 61. geschenkt bekommen, war erstaunt, da ich eigentlich nur selber male, aber als ich mal schwach, traurig und krank war, hab ich es rausgeholt und bin meinen Schenkern zutiefst dankbar, es hat solchen Spaß gemacht!!! Natürlich hab ich auch das nur als ‚Gitter‘ genommen und die Ränder wurden gleich noch ein farbenfroher Rahmen…seitdem verschenke ich das oft an Kranke, mit wunderbaren Stiften dazu und zeige meinen Band als Anregung. Euer Schwung ist wunderbar, ihr seid jung und gesund und möge er euch möglichst lebenslang erhalten bleiben! Es gibt jedoch auch andere Zeiten und Schicksale. Aber jeder hat da seins…und ich bin weiter gespannt auf Eures:-). Liebe Grüße aus dem ‚Mittendrin‘, Monika
Haha, ich dachte, ich hätte was falsch gemacht und hab es nochmal so ähnlich geschrieben…und jetzt ist gleich alles da und das letzte doppelt!? Da war wohl irgendwas mit der Kommentarfunktion? Aber jetzt geht es wieder. Einen schönen Herbstag wünscht euch Monika