Liebe Eltern, Pädagogen und ähnliche „Großzieher“,

vor einem Jahr lebten wir mit unseren vier Kindern für zwei Monate in Rumänien. Wir fühlten uns wohl in „unserer“ kleinen Siedlung mit den lieben Nachbarn um uns herum. Doch auch bei ihnen war das Thema Krieg angekommen.

Im Nachbarland Ukraine ging es heiß her. Trümmerlandschaften, Soldaten und politisches Geschwätz drangen aus den Nachrichten in jedes „moderne“ Geschäft.

Es dauerte nicht lang, bis sich herumsprach, dass eine Ukrainerin mit vier kleinen Kindern im Dorf leben würde. Gemeint war ich und es dauerte sehr lange, dieses Gerücht aus der Welt zu schaffen. Das lag an der Sprachbarriere.

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Die nächsten Nachbarn wussten natürlich anhand des Autokennzeichens, dass wir keine Flüchtlinge waren, aber auch sie beschenkten uns (sicher auch wegen der Kinder) reichlich mit Lebensmitteln und zeigten große Herzlichkeit.

Aus den umliegenden Orten kamen immer wieder Spenden für uns, die Flüchtlingsfamilie: Süßigkeiten, Kinderkleidung, Kinderschuhe und viele Spielsachen. Ich habe immer wieder gesagt, dass wir keine Flüchtlinge sind. Aber wie gesagt, keiner wollte es so richtig glauben. Viele schienen sich auch zu freuen, einer Familie – egal woher sie kam – eine Freude zu machen.

Was wir gebrauchen konnten, haben wir dankbar angenommen. Was nicht, das gaben wir als Spende an Klöster, Obdachlose und andere Familien. Aber warum erzähle ich das?

Das liegt an dem gespendeten Spielzeug, das bei uns ankam. Ostheimerfiguren und Waldorfpuppen hatte ich in den Spendensäcken selbstverständlich nicht erwartet. Überrascht war ich trotzdem: Panzermodelle, Soldatenfiguren, Abwehrzäune und jede Menge Pistolen. Wie diese Mitbringsel in einer echten Flüchtlingsfamilie angekommen wären, will ich hier nicht diskutieren. Jedenfalls fand ich Kriegsspielzeug schon immer fragwürdig.

Kriegsspielzeug - Kinder toben wild umher

Wie gehe ich damit um?

Ich erzähle euch vier wahre Geschichten über den Umgang mit Kriegsspielzeug in Familien in Kindergärten mit und ohne politischer Erziehung.

Krieg spielen im DDR-Kindergarten

Eine ehemalige Kindergärtnerin erzählte mir vor vielen Jahren, dass das Spielzeug in den Einrichtungen das Leben in der DDR widerspiegelte. Unter anderem gab es viele Spielzeugsoldaten mit Gewehren und Panzern. In die Kriegsspiele der Kinder konnte man viel hineininterpretieren: Was wurde in den Familien erzählt? Was konnte man bei den Kindern noch „besser“ erziehen? Wie stand es um die bisherige Entwicklung zur sozialistischen Persönlichkeit? …

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Die Kindergärtnerin hasste dieses politische Spielzeug. Eines Tages beschloss sie, sich einzumischen. Pädagog*innen nennen das „gelenktes Tun im Spiel“. Die Erzieherin rief ihre Vorschulkinder zusammen und sprach mit ihnen darüber, dass im Krieg alles zerstört wird: „Familien, Freunde, Häuser – das ist nicht schön am Krieg. Auch Soldaten und Panzer werden zerstört. So wie hier, wenn wir mit den Steinen draufschlagen.“ Die Kinder begannen, alles Kriegsspielzeug kaputt zu machen. Seitdem widmeten sie sich wieder dem „friedlicheren“ Freispiel. Die Kindergärtnerin kam mit einer Verwarnung davon.

Düsenjets im Kindergarten mit mir als Erzieherin

Ich war 22 Jahre alt, als ich eine Gruppe von 20 Kleinkindern in einer Kita übernahm. Es war eine unglaublich schöne Arbeit, den Tag für und mit diesen fröhlichen jungen Menschen zu gestalten. Aber als Berufsanfängerin hat man es mit manchen Kolleginnen nicht leicht. Man versucht, sich dem Ton anzupassen, der in der Kita herrscht. Es war verboten, mit Legosteinen Düsenjäger zu bauen. Denn das sind Kriegswaffen.

In meiner Gruppe gab es zwei Jungen, die sehr gerne solche Militärflugzeuge bauten. Sie durchdachten ihre Konstruktionen genau, stellten sich vor, wie sie fast schwerelos durch die Luft gleiten konnten und spielten mit Begeisterung, ohne jemandem weh zu tun.

Ich ließ die Jungs spielen. Als die Kollegin aus dem Nebenzimmer dazukam, nahm sie den Jungs mit der bekannten Begründung die Jets weg. Mir fehlte der Mut zum Widerspruch, schließlich gab es schon eine andere Kollegin, die mir oft genug ihre kalten Ratschläge erteilte.

Jedes Mal, wenn ich die Jungs wieder ihre Jets bauen ließ, hatte ich Angst vor der Konfrontation mit der Kollegin. Ich sah die beiden als glückliche Konstrukteure, die Kollegin sah sie als Verbrecher.

Schüsse in der Familie

Zum Hauskreis (Freundeskreis innerhalb einer Kirchengemeinde) meiner Eltern gehörte eine Familie mit vier Kindern. Die Eltern, beide Akademiker, legten Wert darauf, dass die Kinder nicht mit Kriegsspielzeug spielten. Aber eine ihrer Töchter war ganz vernarrt in Schießspiele. Schuss hier, Schuss da, Spielzeugpistole hurra! Man konnte ihr sagen, was man wollte, die Begeisterung blieb – und eines Tages lernte das Mädchen bei der Kriminalpolizei.

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Pistolen bei uns

Vieles von dem Spielzeug, das wir als vermeintliche Kriegsflüchtlinge in Rumänien geschenkt bekamen, landete auf dem Müll. Ein Großteil war bereits kaputt, unvollständig oder so ramponiert, dass es unbrauchbar war. Mit den verbliebenen „heilen“ Soldaten und Panzern konnten unsere Kinder nichts anfangen. Sie blieben unbespielt.

Aber die Pistolen haben bei unseren Söhnen, die damals zwei und vier Jahre alt waren, ein Feuer entfacht. Wir hatten gerade Familienbesuch, der am liebsten so reagiert hätte wie meine ehemalige Kollegin. Aber diesmal wollte ich nichts verbieten lassen. Stattdessen beschloss ich, meinen Kindern beim Spielen zuzuschauen. Die Jungs spielten ein paar Tage intensiv Schießen. Sie schossen mal lachend, mal mit grimmigem Blick. Sie zielten auf Bäume, auf imaginäre Tiere, auf ihre Schwestern und auf uns Eltern.

Spielzeugpistolen

Die Pistolen klangen zum Teil wie Maschinengewehre, aber auch wie außerirdische Töne. Bald waren die Batterien leer. Die Begeisterung des Vierjährigen ließ nach. Er sagte entschieden, dass er eigentlich viel lieber mit Autos spiele und dass er echtes Schießen gar nicht leiden könne. Er verschenkte die Pistolen an andere.

Wir erklärten dem Kleinen, dass Pistolen, die wie echte aussehen, an Grenzübergängen Probleme bereiten können. Irgendwie verstand er das wohl, denn er konnte sich ohne Kummer von dem Spielzeug trennen. Das Schießspiel gefiel dem Jüngsten aber nach wie vor. Wenn er spazieren ging, nahm er einen Stock als Pistole. Zu Hause baute er sich aus Duplosteinen ein Schießgewehr. Kriegsfilme, Nachrichten oder aggressive Zeichentrickfilme sehen wir uns nicht an. Trotzdem kennt er es noch und spielt ab und zu „Schießen“.

Was ist so schlimm an Kriegsspielzeug?

Wenn wir unseren Kindern Kriegsspielzeug verbieten, sollten wir das gut begründen können. „Weil es böse ist“ reicht nicht. Familientherapeut Jesper Juul sah das übrigens ähnlich. Aber wir können mit ihnen ins Gespräch kommen und erzählen, was ein Soldat macht. Über Flucht und Vertreibung sprechen, über Krieg und Töten. Ich erzähle meinen Kindern zum Beispiel Geschichten aus der Jugendzeit meiner Großeltern. Wir reden über unsere Freunde mit russischen und ukrainischen Wurzeln. Beim Kinderyoga singen sie von „Shanti“ und „Om“. Und ich versuche, ihnen im Alltag zu zeigen, welche Werte mir wichtig sind und dass „Frieden“ nicht nur ein Wort ist, das man singt.

Wenn ihr Kriegsspielzeug schlimm findet, dann fragt euch doch, was genau euch daran stört. Überlegt euch, ob eure Befürchtungen wirklich zutreffen. Bedenkt, dass ein Kind nicht rund um die Uhr nur mit Pistolen, Schwertern und Plastikpanzern spielt. Es spielt auch ganz andere Dinge, die nichts mit Krieg zu tun haben. Kriegsspielzeug zu besitzen bedeutet nicht, dass das Kind einen Ausbildungsvertrag zum Berufssoldaten abgeschlossen hat.

Kind im Panzer, eines spielt mit Gewehr

Wir sollten uns genau überlegen, welche Spiele wir erlauben und welche wir verbieten wollen: Krieg Spielen ist böse, aber Ritter- und Indianerspiele sind in Ordnung? Abschießerle, Völkerball und andere Mannschaftsspiele sind pädagogisch wertvoll, aber wer mit einer Plastikpistole herumrennt, ist ein aggressives Kind? Vielleicht ist es besser, das einzelne Kind mit seinen Lebensumständen zu betrachten, als aus wenigen Momenten ein ganzes Lebensbild zu skizzieren und bei jeder Gelegenheit unsere Bewertungen auszupacken.

Das Spiel ist die Realität in klein

Wenn Kinder spielen, können sie sich ausprobieren. Sie können tun, was Erwachsene tun, ohne dass es gefährlich wird. Im Spiel probieren sie aus, üben und lernen. Ob sie einen Vulkanausbruch, einen Autounfall oder einen Krieg nachstellen: Beim Spielen werden sie sich nicht ernsthaft verletzen. Und doch verstehen sie hinterher, wie sich diese manchmal gefährlichen Situationen in etwa anfühlen. Mit anderen Worten: Kinder bereiten sich durch ihr freies Spiel, das wir ihnen nicht vorschreiben, auf das Leben vor.

Kinder SPIELEN Krieg

Wie wir reagieren können, wenn Kinder auf uns „schießen“

Wir reagierten bei unseren Jungs mit:

  • lachen
  • stöhnen
  • tot umfallen
  • mit der Bitte um noch mehr Schlagsahne aus dem Schießgewehr (bzw. Luftballons, Seifenblasen oder Blümchen)
  • hochschrecken
  • hüpfen
  • pupsen
  • Augen rollen
  • Grimassen schneiden,
  • puff“ oder „peng“ sagen,
  • kurz zurückschrecken,
  • gar nicht oder
  • einer Ausrede, zum Beispiel keine Zeit zu haben.

Und wenn es uns zu viel wurde, haben wir auch das gesagt. Gewaltfrei in etwa so: „Jetzt bitte nicht mehr. Ich habe erst mal genug und brauche eine Pause davon.“

Wenn man sich weniger sorgt, dass das Spiel des Kindes verboten ist und man weiß, dass sich niemand einmischt, dann fällt es leichter, liebevoll zu bleiben.

Was tun, wenn es zu wild wird

Wird das Kriegsspiel unter Kindern zu wild, liegt es nicht daran, dass sie Krieg spielen.

Ärger liegt in der Luft

Wenn das Spiel der Kinder frei ist, also ohne Vorgaben und Spielregeln von uns Erwachsenen, kann sich dieses freie Spiel auch in alle Richtungen entwickeln. Es bietet den Kindern die Chance, selbst kreativ zu werden und Kommunikation sowie soziales Verhalten zu trainieren. Werden Regeln vorgegeben oder gibt es generell einen Aufpasser, damit alle „richtig“ spielen, geht die Begeisterung für etwas zügig verloren. Wettbewerb und das Ringen nach Anerkennung rücken in den Mittelpunkt.

Wir sollten uns als Eltern, Lehrkräfte und Betreuungspersonal darauf einstellen, dass Kinder auch anders spielen dürfen – laut, streitend, lösungsorientiert und mit allem, was dazu gehört.

Überschreitet jedoch ein Kind die Grenzen eines anderen, müssen wir eingreifen.

Geht bei Beschuss, Verkehrsunfällen oder Raketeneinschlägen anderes Spielzeug zu Bruch oder wird ein Kind verletzt, schreitet bitte ein! Wenn ein Kind ausgeschlossen wird, helft, indem ihr Gefühle ansprecht. Findet eine Lösung, damit alle Freude am Spiel haben. Will sich zum Beispiel kein Kind freiwillig an den Marterpfahl stellen, bindet einen Teddy oder einen Besen daran.

Ihr könnt auch die Erwachsenenrolle ablegen und einfach als Freund mitspielen. Das erfordert natürlich körperliche Ausdauer, hilft aber oft einer „komplizierten“ Gruppe, über einen Konflikt hinauszuwachsen. Von solchen engagierten Vätern oder Horterziehern wird dann gerne geschwärmt; vielleicht habt ihr das auch schon erlebt.

Was aus „solchen“ Kindern mal wird

Statt uns mit dem Jetzt, dem einfachen Sein des Kindes zu begnügen, fragen wir uns oft, was aus unseren Kindern einmal werden soll. Dabei vergessen wir, dass jedes Kind bereits ist. Man wird nicht erst ein richtiger Mensch, wenn man einen Beruf hat. Und wir können nicht aus dem Jetzt-Moment unserer Kinder und auch nicht aus ihrem Spielverhalten ableiten, was aus ihnen einmal wird.

Ja, vielleicht wird aus dem Kind, dessen Kinderzimmer einem Bunker mit Schwertern und Kanonenattrappen gleicht, ein AfD-Vorstand oder ein Zeitsoldat. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht wird aus einem ehemaligen Prügelknaben ein toller Kindergärtner oder Bürgermeister. Und vielleicht wird aus einem Briefmarkensammler ein Berufsjäger oder Metzger.

Es kommt immer auf unsere Reaktion an

Gleich nach unserer Rückkehr nach Deutschland waren wir in einer Kaufhalle. Mein kleiner Sohn zielte mit seinem Ärmchen auf eine Frau vor uns an der Kasse und „schoss“ auf sie. Am liebsten wäre ich vor Scham im Boden versunken. Aber die Frau schmunzelte, zielte mit dem Zeigefinger auf den Kleinen, machte puffige Schussgeräusche und „schoss“ zurück.

Pistolen und anderen Kriegsschmarrn würde ich meinen Kindern nie einfach so kaufen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich auch sagen, dass Kriegsspielzeug Kinder „böse“ und aggressiv macht. Aber genau das kann ich nicht beobachten. Sie spielen einfach, toben und rennen herum und sind trotzdem die nettesten und einfühlsamsten Menschen in meiner Familie. Wenn wir in der Position des spielenden jungen Kriegers wären, welche Reaktionen würden wir uns wünschen? Sicher keine Befehle, Bewertungen, Bevormundungen und Ratschläge. Wir würden uns wünschen, dass man mit uns spricht wie mit einem Freund.

Spaß am Spiel

Waffenspielzeug in Kriegszeiten

Weiter oben habe ich die Episode aus dem DDR-Kindergarten geschildert. Nach den Nachrichten zu urteilen, scheint die politische Erziehung wieder aktuell zu sein. Man will uns weismachen, dass mehr Waffen mehr Frieden bedeuten. Man sagt uns, dass das, was die Mehrheit denkt, der Weg ist und dass Kriege normal sind. Aber lassen wir uns nicht beirren, lassen wir uns nicht von unserer Intuition abbringen. Sagt euren Kindern nicht, dass sie dies oder jenes nicht zum Spielen benutzen dürfen. Aber kauft keine Soldatenausrüstung fürs Kinderzimmer, nur weil sie gerade (wieder) modern ist. Und schenkt eurem Nachwuchs lieber Zeit statt Zeug.

Noch ein Wort zu Ballerspielen

Heute finde ich Ballerspiele noch blöd, aber in ein paar Jahren mit vier Teenagern vielleicht nicht mehr. Denn meine Kinder werden mich eines Besseren belehren. Vielleicht werden sie sich auch nie dafür interessieren.

Mein Ehe-Nerd ist wie viele seiner Freunde mit Spielen wie Wolfenstein 3D, Serious Sam und Halflife aufgewachsen. Zum Amokläufer ist keiner von ihnen geworden, eher zum Kriegsdienstverweigerer und Pazifisten.

Ein liebevoller, achtsamer Umgang miteinander, der von Achtung, Respekt und Gleichmut geprägt ist, sorgt wohl eher dafür, dass niemand zu einem Gewalttäter oder Amokläufer wird. Wenn ihr hier Inspirationen oder Hilfe braucht, schaut doch gern mal in Patricks Liste spiritueller Bücher (ohne Esoterik).

Reden statt Befehlen

Wichtig ist, wie bei allen Familienthemen, eine gewaltfreie Kommunikation und ein Miteinander statt Nebeneinander. Bedürfnisorientierte Elternschaft bedeutet nicht, dass wir unsere Verantwortung abgeben und die Kinder machen lassen, was sie wollen. Es bedeutet aber auch nicht, dass wir aus Angst alles schlechter reden müssen, als es ist.

Wenn wir es als Mutter oder Vater einfach nicht tolerieren können, dass unsere Kinder mit Kriegsspielzeug spielen, dann sollten wir dazu stehen. Entweder arbeiten wir an unseren Triggern, um den Umgang damit zu ertragen. Oder wir erklären es unseren Kindern, so wie wir ihnen unsere Werte oder unseren Glauben erklären.

Sonnige Grüße aus dem friedlichen Albanien
Eure Evelin

CC BY-SA 4.0 Dürfen Kinder mit Kriegsspielzeug spielen? von Free Your Family ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.