Ich stamme aus einer Familie vom „alten Schlag“. Als Kind gab es wenig Lob und noch viel weniger Umarmungen. Da ich es nur so kannte, fühlte sich das normal an. Erst als ich bei meiner Freundin anderes sah, veränderte sich meine Wahrnehmung. Ihre Mutter drückte und umarmte sie sehr viel. Sogar wenn sie einmal „ungezogen“ war. Damals wünschte ich mir für mich dasselbe. Als Erwachsene begann ich, mich mehr mit dem Thema „Bindung“ zu beschäftigen. Und ich erkannte, wie unentbehrlich die körperliche Nähe von Mama und / oder Papa für ihr Kind ist. Umarmungen, Streicheln, Kuscheln usw. sind für die Verbundenheit zwischen Eltern und Kind von enormer Bedeutung. Darüber möchte ich euch in meinem Gastbeitrag erzählen.

Als Baby liebte Noah das Kuscheln

Als mein Sohn Noah da war, beschloss ich, dass Umarmungen eine wichtige Rolle in meiner Erziehung spielen sollten. Da ich ganz anders aufgewachsen war, fiel mir das nicht immer leicht.

Solange Noah ein Baby war, war das Kuscheln und Festhalten einfach. Mein Kleiner genoss das Streicheln und fühlte sich wohl. Je älter er wurde, desto mehr pochte er aber auf Distanz.

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Tobende Kinder zu umarmen ist nicht immer einfach

Im Grunde genommen war das gut. Er hatte genug Vertrauen entwickelt, um sich freier bewegen zu können. Mit dem Wachsen häuften sich aber auch seine Wutanfälle. Sie sind ein normales und sogar wichtiges Verhalten in der „Trotzphase“.

Mich stellte es jedoch vor eine Herausforderung: Denn Umarmungen erscheinen mir bei einem tobenden Kind anfangs nicht gerade naheliegend. Vor allem wenn Noah in der Öffentlichkeit trotzte, war es schwierig.

Das wütende Kind im Supermarkt

Einmal warf er sich im Supermarkt auf den Boden. Er schlug um sich und schrie. Ich redete ruhig auf ihn ein, aber er war nicht zu besänftigen. Immer mehr Leute musterten uns. Eine Frau sagte: „Die hat das Kind nicht im Griff!“

In diesem Moment wurde mir alles zu viel. Ich war kurz davor, Noah mit Gewalt aus dem Geschäft zu zerren. Dann erinnerte ich mich an meinen Vorsatz. Ich berührte ihn vorsichtig und fragte: „Brauchst du ein paar Umarmungen?“

Liebevolle Umarmungen halten die kindliche Wut im Zaum

Zu meiner Überraschung fiel der ganze Zorn von ihm ab. Er warf sich fast in meine Arme. Ohne einen weiteren Vorfall verließen wir den Supermarkt. Später wurde mir klar, wie hungrig und müde Noah gewesen war.

Ich war stolz auf ihn – und auf mich. Durch die Umarmungen hatten wir es geschafft, die Lage zu beruhigen. Heute weiß Noah, dass er in schwierigen Momenten auf mich zählen kann. Seine kindliche Wut haben wir mit sanfter Berührung fast ganz in den Griff bekommen.

Doch warum ist das so?

Nähe und Zärtlichkeit vertiefen das Urvertrauen

Tochter schmiegt sich an ihren Papa

Urvertrauen aufbauen: so geht’s (Foto von Caroline Hernandez auf Unsplash)

Wenn sich Mama und / oder Papa mit ihrem Baby kuscheln und es streicheln, hilft das dem Kind dabei, zu einer starken und ausgeglichenen Persönlichkeit zu reifen. Wann immer Eltern es in die Arme schließen, spürt das kleine Wesen bedingungslose Liebe. Speziell in der Zeit der Wachstumsschübe und bis etwa zum dritten Lebensjahr wird so das Urvertrauen aufgebaut. Zärtlichkeiten und Nähe sind aber auch darüber hinaus noch enorm wichtig.

Wer sich in der frühen Kindheit geborgen und sicher fühlt, kommt im späteren Leben besser zurecht. Denn Umarmungen tragen wesentlich dazu bei, dass Menschen psychisch stabil sind – und das bis tief ins Erwachsenenalter. Wer also viel mit seinem Kind kuschelt, schenkt ihm Selbstsicherheit. So wird es ihm später leichter fallen, soziale Bindungen einzugehen und zu pflegen.

Das war nicht immer so – oder: Wie grausame Versuche an Tieren die Bindungstheorie „retteten“

Noch in den 1950er Jahren glaubten Pädagogen, Kinderärzte und Psychologen, es würde ein Kind verweichlichen, wenn Mama und Papa es zärtlich berührten. Sie legten den Eltern ans Herz, sich vor allem Jungen gegenüber kühl zu verhalten. Kuscheln und Nähe seien zu vermeiden.

Durch Zufall entdeckte der Forscher (und Tierquäler! – Anmerkung von Free Your Family) Harry Harlow, dass das Gegenteil der Fall ist. Für seine grauenvollen Experimente wollte er junge Äffchen keimfrei aufziehen. Er isolierte die Jungtiere von ihren Mamas, die in der Folge extreme Störungen im Verhalten zeigten. Zudem reiften sie langsamer heran als ihre Artgenossen. Mehr über die Harlow-Versuche könnt ihr bei Spektrum lesen.

Harlow schloss aus seinen Tierversuchen und Studien: Sein Kind in die Arme zu nehmen, mit ihm zu kuscheln und es zu berühren ist essenziell, damit es sich gesund entwickelt. Ja, es ist geradezu lebenswichtig. Siehe auch: Eltern-Kind-Beziehung und Bindungstheorie.

Kuschelnde Makaken-Familie auf Bali

Alle Primaten brauchen Umarmungen und Nähe: Hätte es also nicht gereicht, die Tiere in Freiheit zu beobachten? (Foto von Aleksey Oryshchenko auf Unsplash)

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Umarmungen reduzieren Stress und fördern die Entwicklung des Gehirns

Durch angenehme Berührungen vermittelt ihr eurem Kind Geborgenheit. Es fühlt sich angenommen und wertgeschätzt. Ihr zeigt ihm damit aber nicht nur eure Liebe. Durch Umarmungen und physische Nähe sorgt ihr ferner für ein gesundes Heranreifen des kindlichen Gehirns.

Denn Kuscheln und Streicheln fühlen sich nicht nur angenehm an. Sie haben auch einen starken körperlichen Effekt. Verantwortlich dafür sind bestimmte Nerven. Sanfte Berührungen und die Wärme der Haut aktivieren diese, wodurch ein Glückshormon in die Blutbahn entsendet wird. Es heißt Oxytocin, Kuschel- oder Bindungshormon. Setzt der Körper es frei, stärkt das die Beziehung zwischen euch und eurem Kind.

Das Hormon bewirkt noch mehr: Endorphine sind sogenannte „Botenstoffe des Glücks“. Durch Oxytocin erhöht sich die Empfindlichkeit ihnen gegenüber. Das Kind baut Stress ab. Sein Herzschlag verlangsamt sich. Es atmet ruhiger und fühlt sich entspannt. Siehe auch Oxytocin.

Sanftes Festhalten kann die Wut stoppen

Durch Umarmungen, Kuscheln und Streicheln beruhigen sich Menschen. Das gilt für Erwachsene genauso wie für Kinder. Im Babyalter legt ihr als Eltern den Grundstein dafür, dass euer Kleines auch später gut mit Zärtlichkeiten und Nähe umgehen kann.

Ist es eure körperliche Zuwendung gewöhnt, könnt ihr es damit aus negativen Gefühlen geradezu befreien, wie es mir bei Noah gelang. Wenn euer Kind vor Zorn sprüht, ist das natürlich nicht immer einfach. Aus Gewohnheit möchtet ihr vielleicht schimpfen. Doch probiert es lieber mit sanftem Streicheln. Das ist meist viel wirksamer.

Was eurem Kleinen hilft, hilft euch erst recht. Ist euer Kind außer sich vor Wut, steigt auch euer Stresslevel. Durch das sanfte Festhalten beruhigt ihr euch beide, wodurch ihr die gesamte Situation entschärft.

Zudem entwickelt das Kind dadurch Vertrauen zu euch. Es weiß, ihr mögt es so, wie es ist: Die Liebe von Mutter oder Vater ist ungebrochen, auch wenn es sich einmal „daneben“ benimmt. Das fördert die Selbstakzeptanz.

Berührungen nicht erzwingen

Nicht alle Kinder stehen körperlichem Kontakt gleich positiv gegenüber. Je früher ihr mit den Umarmungen beginnt, desto eher spricht euer Kind auf sie an. Mit etwas Geduld erreicht ihr hier viel.

Berührungen müssen sich gut anfühlen. Sie sollten sanft sein und nie gegen den Willen des Kindes erfolgen. Fragt es einfach: „Darf ich dich drücken?“, oder: „Brauchst du vielleicht eine Umarmung?“.

Fazit zu Umarmungen, Zärtlichkeiten und Nähe in der Familie

Umarmungen und körperliche Nähe sind wichtig für die gesunde Entwicklung eines Kindes. Durch sie baut es Vertrauen auf und spürt eure Liebe. Bei angenehmen und sanften Berührungen schüttet der Körper Oxytocin aus.

Das „Kuschel-Hormon“ stärkt die Beziehung zwischen euch und eurem Kind. So ist euer Kleines emotional stabiler und kann später leichter Bindungen eingehen.

Auch der Liedermacher Gerhard Schöne findet in seinem Lied „Schmusen muss sein“ knackige Worte, warum Umarmungen, Streicheln und Kuscheln für uns Menschen so wichtig sind:

Wollt ihr berichten, wie euch Umarmungen und Kuscheln in der Beziehung zu eurem Kind geholfen haben? Schreibt’s uns gern in die Kommentare!

Zum Weiterlesen: Aggression: Was kannst Du tun, wenn Dein Kind beißt, schlägt oder schubst? 

(Text: Julia Berger, Korrektur und Lektorat: Free Your Family)

 

CC BY-SA 4.0 Wie ihr euer Kind aus der Wut begleitet und dabei die Bindung zwischen euch stärkt: die geheime Magie des Kuschelns und der Umarmungen von Free Your Family ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.