2019 – Es ist unser erstes, offizielles Reisejahr. Im September und Oktober wohnen wir in einem serbokroatischen Dorf. Das Leben steht hier im totalen Kontrast zu unserer letzten Bleibe am Vrana-See. In diesem Artikel gehe ich ausführlich darauf ein, wie sich das Dorfleben in Kroatien mit unseren kleinen Kindern und Autodidakten anfühlt. Außerdem teile ich meine Eindrücke von den Zuständen in den Kliniken des Landes. Denn unser Zweijähriger musste unter Narkose operiert werden.
Für einen kurzen Überblick über das Leben und Freilernen in Kroatien und den Ort habe ich ein Video aufgenommen:
Wie sind wir auf das serbokroatische Dorf gekommen?
Über die Suche nach „unschooling croatia“ fand ich Kontakt zu einer anderen „Freilerner-Familie“, die nur etwa 50 bis 60 Kilometer von Drage entfernt wohnte. Über sie sollten wir unser nächstes, kleines Domizil in diesem kleinen Dorf in Dalmatien, unweit des Krka Nationalparks, finden.
Freilernen in Kroatien: WIKAJA
„Freilernen“ oder „Unschooling“ sind im Grunde einfach nur neue Begriffe für die älteste und ursprünglichste Form des menschlichen Lernens. Herausragende Persönlichkeiten wie Leibnitz, Darwin, Goethe, Fraunhofer, Faraday, Mozart und Edison beweisen, wie gut es funktioniert. Denn sie alle waren Autodidakten, die sich ihr Wissen und ihre Fertigkeiten zum Großteil selbst beibrachten.
Diesem Ideal des Lernens hat sich auch die oben genannte Familie verschrieben: Sie bietet anderen reisenden „Freilerner-Familien“ ihren Campingplatz im Dorf an. Er trägt den Namen „WIKAJA – Co-Creative Self-Directed Learning Village + Campground“. Hier gibt es zahlreiche Stellplätze für Zelte, PKWs und Wohnmobile. Die sanitären Anlagen sind neu. Waschmaschine, Kochecke, Tische, Bänke, WLAN und tolle Yoga-Schaukeln: WIKAJA lässt keine Wünsche offen.
Dank des Engagements dieser Familie entsteht ein reger Austausch mit anderen. Die Kinder kommen zu ihren Sozialkontakten unter (mehr oder weniger) Gleichaltrigen, und neue Freundschaften entstehen. Und wer es wünscht, führt angenehme Gespräche mit Menschen, die ähnlich ticken.
Was das Leben hier besonders und spannend macht:
- gemeinsame Ausflüge
- freiwillige „Arbeitseinsätze“, zum Beispiel Weinlese und Olivenernte
- miteinander feiern und gelegentlich zusammen dinieren
- beim Weinansetzen zuschauen
- Lernen im Umgang mit Tieren
- Trampolinspringen
- Spielzeug-Austausch
u.v.m.
Das serbokroatische Freilerner-Dorf – eine Idylle wie im Bilderbuch
Das Dorf liegt nur zehn Autominuten von Skradin entfernt. Gerade mal drei Straßen führen durch den Ort. Die Bewohner sind ruhig, freundlich und gemütlich. Eine alte Frau, die jeden Nachmittag auf einem Stuhl am Straßenrand sitzt, nickt lächelnd den spielenden Kindern zu. Der Viehhirte lädt immer wieder mal Mädchen und Jungen mit aufs Feld zum Gänsehüten ein. Ein anderer Mann verschenkt säckeweise Weintrauben. Zum Schnapsbrennen und Verkosten wird herzlich eingeladen, ohne nur ein Wort in der Sprache des anderen zu sprechen.
Freie Dorfkinder, keine Sorgen
Unsere Kinder sind oft von früh bis spät unterwegs, und spielen irgendwo im Ort. Wir sorgen uns nicht, dass sie überfahren werden könnten oder an „böse Menschen“ geraten. Liegen gebliebene Fahrräder, Strickjäckchen oder Rucksäcke? Egal! Hier kommt nichts weg.
Die ständige Gängelei und Erziehung, das Verschenken von Süßigkeiten und der herkömmliche Umgang, wie man ihn gegenüber jungen Menschen in Deutschland kennt: keine Spur davon.
Unschooling in Kroatien im Schatten des Jugoslawienkrieges
Das Unschooling gestaltet sich für reisende Familien in Kroatien unkompliziert. Offiziell muss man sich erst nach drei Monaten im Gemeindeamt anmelden (ist EU-weit dasselbe). Die Freilerner hier gehen relativ lax mit dieser Regelung um. Wer länger an einem kroatischen Ort bleiben will, braucht nicht in ständiger Angst vor Behörenkontrollen leben. Es reicht, nach Aussagen der Dorfbewohner, sich schlicht zu erklären: Man sei erst angekommen oder hat sich die Anmeldung für den kommenden Tag vorgenommen.
Will man in Kroatien dauerhaft mit schulfreien Kindern wohnen, ist ein „serbisches Dorf“ sicherer. Denn die Differenzen, die die Vergangenheit mit sich brachte, stecken noch tief im Denken der Menschen fest. Viele „Serben“ wollen ihre Kinder vor einem Schulbesuch behüten. Der Umgang, der in den Schulen herrsche, sei „pro“ kroatisch. So werden serbische Menschen politisch und geschichtlich oft diskriminiert bzw. in ein schlechtes Licht gerückt. „Serbische“ Kinder werden ausgegrenzt und gemobbt. Und die Lehrer schauen weg. Aus diesem Grund meiden die Serben den Kontakt zu kroatischen Behörden lieber. Hier werden sich Homeschooler und Autodidakten nicht freiwillig irgendwo melden.
Wenn man den Leuten hier zuhört, bekommt man ein Gefühl dafür, was „Krieg“ bedeutet. Was damals geschah, ist immer noch nicht vergessen. Der eine hegt Groll gegen denn anderen. Und die Kinder, ja ganze Generationen, werden den Konflikt in die Zukunft tragen, obwohl sie nichts dafür können, was vor und während der Jugoslawienkriege geschah – auf beiden Seiten.
Im Allgemeinen finden wir die Bedingungen fürs Freilernen in England und in der Tschechischen Republik jedoch besser als in Kroatien. Vor allem, weil es in diesen Ländern eine „freilerner-freundliche“ Infrastruktur aus Kultur- und Bildungsangeboten gibt. So etwas fehlt in Kroatien, auch wenn man in Kroatien mit Kindern viel Natur erfahren und einen Einblick in die slawische Geschichte und Lebensart erhalten kann.
Kroatische Krankenhäuser – Teil 1
Leider, aber sicher auch zu unserem Glück, sind wir um einige Erfahrungen mit kroatischen Krankenhäusern reicher.
Kurz nachdem wir anreisten, schwoll das Auge unserer Ältesten aus unerklärlichen Gründen so stark an, dass wir sie in der Kinderklinik in Šibenik vorstellten. Das Personal war freundlich und fürsorglich. Auf die sorgsamen Untersuchungen mussten wir nicht lange warten. Eine Augenärztin träufelte unserer Tochter einige Tropfen ins Auge, was schlagartig zur Besserung führte.
Patrick bezahlte noch an Ort und Stelle mit der „Real-Time-Karte“ von unserer Langzeit-Reisekrankenversicherung von STA-Travel.
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Kroatische Krankenhäuser – Teil 2
Der zweite Besuch im Klinikum war weniger schön.
Unser zwei Jahre alter Sohn hatte am Abend versehentlich Mandelstückchen eingeatmet. Er konnte sie nicht mehr aushusten. In der Nacht stellte ich fiepsende Geräusche beim Ein- und Ausatmen fest. Zum Glück hatte ich das Stethoskop aus dem „Hebammenkoffer“ meiner großen Tochter zur Hand. Ich verglich die Atemgeräusche meines Kindes mit denen in Youtube-Videos. Es konnte nur Stridor sein.
In Deutschland hätte man uns sofort „geglaubt“. Die Ärzte hätten zügig festgestellt, dass es sich um Fremdkörper in der Lunge handeln muss und unser Kind umgehend behandelt. Doch im Krankenhaus in Šibenik lief es anders ab:
Trotz des Verdachts auf Mandelstückchen in der Lunge wurde unser Sohn geröntgt. Randnotiz: Organisches Material bleibt dabei unsichtbar. Ihm wurde Blut entnommen und ein Venenkatheter gelegt. Danach wurde an seinem Fuß ein Sensor befestigt, der den Sauerstoffgehalt im Blut erfassen sollte. Das Gerät hatte einen Wackelkontakt.
Nach dem Röntgen untersuchte ein HNO-Arzt den Rachen unseres Kindes mit einem Nasen-Endoskop. Unser kleiner Junge schrie, als die Krankenschwestern seinen Kopf fixierten und der Arzt ihm den flexiblen Draht mit der Kamera durch die Nase schob. Mein Herz brach.
Kroatische Krankenwagen
Da man uns nicht zu helfen wusste wurden wir in ein für solche Fälle ausgestattetes Krankenhaus verlegt – ins 60 Kilometer entfernte KBC Split. Der Transport sollte von einem Arzt in einem Krankenwagen begleitet werden.
Auf einer rutschigen Pritsche lag ich dann mit meinem Sohn im Arm. Wir bekamen keinen Gurt, weshalb ich meinen Schuh zwischen Bett und Schrank einklemmte, um in den Kurven besseren Halt zu bekommen. Während der Reise über die Autobahn nahmen meine Begleiter einen kleinen Umweg in Kauf. Denn die Ärztin, die nicht einmal nach meinem Sohn schaute, musste noch dringend Chips und Schokolade kaufen.
Angekommen am Krankenhaus in Split entfernte man dann das Messgerät vom kleinen Fuß. Die ganze Fahrt über lag es so schief, dass es vor lauter Fehlmessungen nur so piepte. „Das brauchen wir jetzt nicht mehr“, sagte eine Ärztin. Schön, da hätte uns der verbundene Fuß also längst ein paar Tränen ersparen können!
Kroatische Krankenhäuser – Teil 3
In der Klinik schrie der kleine Mann laut. Eine Ärztin fragte bei der erneuten Aufnahme, was er denn nur gegen Krankenhäuser hätte. Nach kurzer Wartezeit kam auch Patrick an, der sich mit unserem Auto auf den Weg gemacht hatte. Glücklicherweise hatten wir für unsere Mädchen in „unserem Dorf“ eine perfekte Kinderbetreuung.
Relativ zügig bereitete man alles für die Operation vor. Unser Junge schrie allerdings wieder, weil der Venenkatheter in der Hand undicht war und erneuert werden musste. Diesmal bekam er ihn in die Armbeuge. Danach gaben wir unseren Sohn schweren Herzens an der OP-Tür ab. Ich durfte nicht bei ihm bleiben, bis er die Narkose bekam. Eine Krankenschwester würde sich nun um ihn kümmern. Sie ertrug das 20-minütige „Maaami! Maaami!“ besser als ich. Im Gang sollte ich Platz nehmen und dem Geschrei von draußen zuhören.
Nach 45 Minuten kamen zwei kompetent wirkende Ärzte heraus und sagten, dass unser Kind stabil sei. Man hätte vier Mandelsplitter per Bronchoskopie aus der Lunge entfernt. Sie wünschten uns alles Gute uns verabschiedeten sich. Zehn Minuten später hörten wir ein heiseres, aber kräftiges „Maaami! Maaami!“. Kurz darauf nahmen wir unseren Schatz in die Arme.
Ein kleines Zimmer mit drei Gitterbettchen und zwei weiteren lungenkranken Kindern wurde uns zugewiesen. Auf dem Balkon der Lungenabteilung rauchten sowohl Personal als auch Eltern. Trotzdem erschien es uns dort schöner als drinnen.
Unser Sohn wurde schnell wieder der Alte. Eine freundliche Krankenschwester brachte Patrick und mir einen Tee, und fürs Kind drei Antibiotika-Spritzen, die sie ihm über den Zugang im Arm verabreichte. Wegen eventueller „Krankenhauskeime“ durch die Operation hielt ich diese auch für sinnvoll.
Ein neues Quartier?
In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist es üblich, die Patienten wenige Stunden nach der Bronchoskopie zu entlassen. In Split wollte man uns über Nacht einquartieren. Wir bekamen ein „leckeres Abendessen“ vorgesetzt. Jeweils ein Stück Fleisch mit Kartoffelbrei, einen Naturjoghurt, ein Stück Apfelstrudel und einige Scheiben Weißbrot. Das Brot war das Richtige für unseren Jungen. Den Rest ließen wir heimlich zurückgehen.
Die Abschlussuntersuchung hätte aus „Abhorchen“ bestanden, doch das tat niemand. Ich horchte schon die ganze Zeit mit unserem Stethoskop die kleinen Lungen ab. Sie röchelten leicht, weil sie von der OP gereizt waren, aber „pfiffen“ nicht mehr.
Wir entschieden uns für eine Entlassung auf eigene Verantwortung. Es dauerte noch ewig (wie man das eben aus Krankenhäusern kennt), bis wir Entlassungspapiere, Befund und Rechnung bekamen. Die Dame von STA Travel meinte am Telefon, dass die Behandlungskosten (über 500 Euro) irrsinnig hoch seien – für „kroatische Verhältnisse“. Hier reichte der auf die „Real Time Card“ aufgeladene Betrag nicht mehr aus und Patrick musste einen Teil mit der EC-Karte zahlen. Den Betrag bekämen wir später von der Krankenversicherung zurückerstattet.
Schließlich konnten wir in einem Bistro einige Bananen für unseren hungrigen Jungen kaufen und die 90 Kilometer durch die Nacht zurück in unser Dorf fahren.
Von den Strapazen erholten wir uns alle schnell und sind noch heute dankbar, dass wir Hilfe erfuhren. Wir sind froh, dass wir gesund, glücklich und voller schöner Erfahrungen und Erlebnisse in ein neues Land weiterreisen dürfen.
Auf Deine Fragen und Anregungen gehe ich wie immer gern in den Kommentaren ein.
Herzliche Grüße
Deine Evelin
Kroatien mit Kindern: Dorfleben, Autodidakten & Krankenhäuser von Free Your Family ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Guten Tag ich habe ein Inserat von euch bei Aussteiger und die die es werden wollen gesehen und uns sofort dafür interessiert.
Wir sind Dani und Jenny
Dani 34 war 3 Jahre auf Europatour und hat bei arbeiten gegen Hand geholfen oder gemeinnützige Arbeit geleistet
Ich Jenny 28 Jahre alt war in Afrika und habe dort gemeinnützig in einem Kinderheim gearbeitet und geholfen.
Danach haben wir uns auf dem Jakobsweg kennen und lieben gelernt und als die Tour zu Ende war wuchs mir ein Kugelbauch mit einer kleinen Tochter darin. Einem Jakobsweg Glückskind.
Leider konnten wir nicht in Spanien bleiben da wir alle Papiere verlohren haben und gingen zurück in unser Heimatland nun haben wir alle Papiere zurück und wünschen uns nichts sehnlichster als unser Kind frei erziehen zu dürfen. Leider ist das in der Schweiz Dank kesb und anderen Behörden absolut nicht mehr möglich. Darum würden wir gerne fragen ob wir zu euch in die Kommune kommen dürfen und wollte fragen ob ihr für Geburten ausgestattet sind. Sprich eine Hebamme vor Ort oder in der Nähe habt die bei der Geburt helfen würde?
Wir möchten am liebsten das Kind auch frei von Stress gebären da die Ärzte und die Spitäler hier in der Schweiz leider zu bestimmend sind. Zu schnelle Kaiserschnitte zuviele Untersuchungen usw.
Daniel ist Maurer und handwerklich wie auch im Umgang mit Kindern tieren sehr gewohnt und kann sehr gut bei allem mit anpacken.
Nach der Geburt bin ich wieder Künstlerin und tattoowiererin und könnte so etwas dazu verdienen in Kroatien damit wir etwas zur Gemeinde beitragen können.
Wir sind beides freundliche und aufgeschlossene Menschen die gleichgesinnte suchen.
Hallo Jenny und Dani,
eure Liebesgeschichte samt Kugelbauch klingt wunderschön!
Allerdings haben wir kein Inserat geschaltet und können euch nur an unsere Freunde in Kroatien weitervermitteln. Das kleine Dorf ist keine Gemeinschaft oder Kommune. Darin wohnt lediglich eine Freilerner-Familie, die dort ihren festen Wohnsitz hat und zusätzlich über einen Campingplatz verfügt. Schaut euch das gerne genauer in der Facebookgruppe an. Eine freie Hebamme gibt es vor Ort nicht. Darüber hinaus besteht jedoch die Möglichkeit, eine gute, slowenische Hebamme in Geburtsplanungen einzubeziehen.
Solltet ihr in der Schweiz doch noch auf der Suche nach einer freien Hebamme sein, kann ich mir vorstellen, dass euch eine Doula bei der Suche behilflich sein könnte. Sie sind aufgeschlossen gegenüber Alleingeburten wie Hausgeburten und haben meistens einen guten Draht zu entsprechenden Hebammen. (https://www.doula.ch/de/)
Ich hoffe, ich konnte euch weiterhelfen.
Herzliche Grüße aus Montenegro, Evelin