Über schlechte Erfahrungen und wie man darüber mit Kindern sprechen kann
Bei Doktorspielen unter Kindern wird gern weggesehen. Mit „Doktorspiele sind normal“ oder „das gehört zur kindlichen Entwicklung“ wird es abgetan. Dass es dabei nicht reicht, Regeln aufzustellen, zeige ich in diesem Blogartikel.
Liebe LeserInnen, Eltern, (zukünftige) Pädagogen und Freunde, standet ihr schon mal vor der Frage: „Wie sag ich’s meinem Kinde?“?
In den meisten Familien wachsen Kinder heute mit weniger Tabus auf. Das gilt auch in Bezug auf die Sexualität. Kinder wissen, wie ihre Eltern in Unterwäsche aussehen. Sie sitzen auf der Toilette, während Mutti oder Vati unter die Dusche springen. Und sie erkunden ihre eigenen Geschlechtsteile, ohne dabei beschämt zu werden. Dabei haben wir keine Angst vor einer Übersexualisierung oder Frühsexualisierung unserer Kinder – und das brauchen wir auch nicht.
Übergriffigkeit unter Kindern: Frühsexualisierung und Doktorspiele
Doch was ist, wenn ein dreijähriger Knirps „fuck you“ ruft? Wie fühlen wir uns, wenn Geschwisterkinder nackt den Geschlechtsakt nachspielen? Bleiben wir innerlich ruhig, wenn der Nachbarsjunge unser Mädchen auffordert, den Rock für ihn zu heben? Was geht zu weit? Und wie kann ich mein Kind vor Übergriffen schützen?
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Unter uns gibt es bestimmt sowohl gelassene Eltern, als auch solche, die sexuelle Übergriffe unter Kindern fürchten. Bei mir ist es eine Mischung aus beidem. Ich denke nicht, dass es mit ein paar Kindergarten-Regeln für Doktorspiele getan ist. Von Regeln wird erwartet, dass man sie lernt oder auswendig weiß.
Ich spreche mich in Hinblick auf Doktorspiele und Frühsexualisierung für einfühlsame Gespräche mit den Kindern aus. Denn sexuelle Handlungen im Kindesalter sind eben nicht immer so toll und normal, wie uns so manche Aufklärungskampagne heute weismachen will. Vielleicht könnt ihr etwas aus dem Dialog mitnehmen, den ich mit meiner Tochter führte:
Im Gespräch mit meiner achtjährigen Tochter
Hör mal, dein kleiner Bruder singt „fuck you, fuck you“ und tanzt dazu Ringelreihen. Witzig, oder?
Ja. Warum macht er das?
Ich kann mir vorstellen, dass er die Wörter auf dem Schulhof aufgeschnappt hat, wenn wir dich von der Schule abholen. Hast du „Fuck you“ schon mal in der Schule gehört?
Ja, von den Dritt- und Viertklässlern.
Das wurde früher bei uns auch gerufen. So, dass es die Lehrer nicht hören konnten. Und dann gab es Wörter wie „ficken“ und so. Aber zu Hause habe ich das nie gesagt. Ich hab‘ mir nie getraut, meiner Mama zu erzählen, dass solche Wörter in der Schule gesagt werden.
Warum nicht?
Ich hab` gedacht, dass das unanständige, schmutzige Wörter sind. Dass das etwas ist, womit man jemanden beschimpft. Und meine Mama wollte bestimmt nicht, dass ich jemanden so beschimpfe.
Bist du deshalb nicht gern in die Schule gegangen, Mama?
Nein, nicht deshalb. Das lag daran, dass viele Lehrerinnen Grundschüler oft so behandelten, als wären sie noch keine richtigen Menschen. Aber das kann ich dir ein anderes Mal erzählen, wenn du magst. Ich will dir gern erzählen, was ich damals nicht mochte, was NACH der Schule passierte, also nachmittags. Willst du das hören?
Ja!
Also, ich traf mich manchmal mit Freundinnen zum Spielen. Einmal spielten wir zu dritt oder viert irgendwas im Kinderzimmer der Freundin. Zwei Freundinnen hielten den Arztkoffer. Manches darin kam mir schmutzig oder stinkend vor, das weiß ich noch. Ich sollte mich aufs Bett legen und meine Hose und meinen Slip runterziehen. Das wollte ich nicht. Ich hab das mehrmals gesagt und vielleicht auch ein bisschen geweint und meine Hose festgehalten. Dann sagte mir das eine Mädchen, dass in der Schule niemand mehr meine Freundin wäre, würde ich nicht mitspielen. Oder, dass sie irgendetwas Gemeines über mich erzählen würden.
Und deshalb hast du dann deine Hose und deinen Slip runtergezogen?
Ja, denn ich hatte wirklich Angst davor, dass ich in der Schule keine Freunde mehr hätte. Dabei war das natürlich Quatsch. In meiner Klasse gab es ja genügend andere tolle Kinder, die keine Auszieh-Spiele spielten. Meinen Slipi hab ich dann ganz kurz heruntergezogen. Ich glaube, die Mädchen gaben mir noch eine Spritze ans Bein oder so. Das weiß ich nicht mehr genau. Bevor ich nach Hause ging, musste ich versprechen, niemanden was von diesem Doktorspiel zu sagen, weil es ein Geheimnis wäre. Beim nächsten Mal spielten wir wieder solche Spiele. Irgendwann war das für mich fast schon normal.
Wieso hast du das Zuhause nicht erzählt, Mama?
Es war wirklich blöd, dass ich mich das nicht getraut habe. Meine Mama hätte mir bestimmt erklärt, dass ich keine Angst vor den Drohungen der Mädchen haben brauche. Ich glaubte den Mädchen, dass es toll sei, so ein Geheimnis vor den Erwachsenen zu haben. Geheimnisse, bei denen man vor Freude hüpfen möchte, sind toll. Aber diese Doktorspiele waren ein schlechtes Geheimnis, das sich nicht gut anfühlte.
Weiß das deine Mama heute?
Nein. Ich habe das alles noch nie jemanden erzählt. Weil das ein doofes Gefühl für mich ist. Da ist was passiert, was ich eigentlich gar nicht wollte. Ich bin traurig, weil mein „Nein“ nicht bei den Mädchen zählte und weil ich mich nicht traute, es meiner Mama zu erzählen.
Aber da haben die Mädchen dann ja nie aufgehört! Oder?
Na ja, ich hab dir ja erzählt, dass ich es irgendwann schon fast normal fand, dass ich mit den Mädchen oft sowas spielen sollte. Einmal kam ein neues Mädchen zum Spielen. Und da wollten alle, dass dieses Mädchen auch ihren Slip herunterzieht. Sie hat genauso reagiert wie ich beim ersten Mal. Das neue Mädchen wollte sich nicht nackig machen. Sie hat gesagt, dass sie das nicht will. Und vielleicht hat sie auch ein bisschen geweint. Dann haben wir ihr gedroht, dass sie nicht unsere Freundin sein wird oder dass wir etwas Schlechtes über sie erzählen. Da hat sie dann mitgespielt.
Und du, Mama, warum hast du ihr nicht geholfen?
Ich habe bei den anderen Mädchen mitgemacht. Weil ich nicht ausgegrenzt werden wollte. Und ich dachte wirklich, dass alle Schulkinder Spiele spielen, bei denen man sich etwas ausziehen oder jemanden mit der Zunge küssen oder irgendetwas an seine Mumu oder seinen Po halten muss.
Und was ist dann mit dem neuen Mädchen passiert?
Auch mit dem neuen Mädchen haben wir mehrmals sowas Geheimes gespielt. Als ich mal zu ihrem Kindergeburtstag eingeladen war, spielten die Kinder dort auch „im Bett liegen und knutschen“. Das neue Mädchen hatte das den anderen Kindern wahrscheinlich genauso beigebracht. Aber dann gab es doch noch ein gutes Ende. Willst du es hören?
Ja!
Eines Tages besuchte mich dieses Mädchen, bei dem ich zum Geburtstag war. Sie sagte mir, dass sie ab sofort nicht mehr solche Knutsch- und Ausziehspiele mit mir machen würde. Und dann fragte sie mich, wieso ich das eigentlich gemacht hätte. Meine Ausrede war, dass ich das ja von den Freundinnen aus meiner Klasse so gezeigt bekam. Da sagte sie mir, dass man so doofe Sachen überhaupt nicht nachmachen braucht. Du, da war ich vielleicht sprachlos! Aber ich fand’s richtig gut, dass sie mir das gesagt hat. Denn weißt du, was ich dann gemacht habe?
Was denn?
Als ich das nächste Mal mit einer anderen Freundin zusammen war, mit der, die den Arztkoffer hatte, sagte ich ihr das Gleiche. Dass ich das Knutschzeug nicht mehr spielen werde und dass es keinen Grund gibt, etwas zu spielen, was andere nicht wollen.
Findest du die Mädchen heute doof, Mama?
Nein, das finde ich nicht. Die Mädchen waren genauso Kinder, die irgendetwas aufschnappten. Von Bildern oder Filmen mit Nackigen oder von Geschichten und Schulhof-Wörtern. Und sie suchten genauso wie ich keinen Erwachsenen zum Reden.
Ich sehe, dass du ein mutiges Mädchen bist und staune immer, wie toll und selbstverständlich du die Gänse in Kroatien ausgeführt hast und wie du hier jeden Morgen in die Schule gehst oder wie du mit neuen Kindern zusammen Schlitten fährst. Ich finde es toll, dass du so mutig bist und einfach machst und ausprobierst, was du magst. Und ich finde es richtig gut, wenn du einen Wutanfall hast und zeigst, was du nicht willst. Ich schimpfe dann zwar manchmal und tu so, als verliere ich die Nerven. Aber eigentlich ist das Umhertoben richtig gut von dir. Ich wünsche dir, dass du auch dann richtig mutig bist, wenn jemand etwas mit dir machen will, das du gar nicht willst … Dass du „Nein“ sagen kannst oder weggehst oder zu jemanden gehst, dem du das sagst.
Na Mama, das würde ich DIR erzählen!
Findest du das nicht blöd, mir das zu erzählen?
Nö, wieso denn? Denkst du denn heute, deine Mama hätte das blöd gefunden, wenn du ihr von den Freundinnen erzählt hättest?
Nö. Hast recht. Ach, du bist so toll! Ich liebe dich.
Ich dich auch, Mama.
Über Doktorspiele reden – achtsam, einfühlsam, vertrauensvoll und zwanglos
Ihr Lieben, manche belastenden Erfahrungen in der Kindheit – wie solche „Doktorspiele“ im Grundschulalter, bei denen ein Kind nicht mitmachen will – können wir unseren Kindern ersparen, manche nicht. Wichtig ist, dass wir die sexuelle Entwicklung unserer Töchter und Söhne achtsam begleiten, mit ihnen in Verbindung bleiben – durch Beziehung statt Erziehung, durch feinfühlige statt aufgezwungene Gespräche und durch Vertrauen zu unseren Kindern. All das wünsche ich euch von Herzen!
Eure Evelin
Lasst mich wissen, wenn euch dieses Thema unter den Nägeln brennt. Dann werde ich Luft schaffen, um intensiver darauf einzugehen.
Doktorspiele im Grundschulalter zwischen Übergriffigkeit und Normalität von Free Your Family ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Tolles Thema! Hab mich damit nie auseinander gesetzt (obwohl mein Bruder und ich auch sexuelle Handlungen nachgespielt haben – während der eine so tat als würde er schlafen – iwie hab ich dazu immer noch schlechte Gefühle, Scham) und deshalb ist es so wichtig, das Tabuthema zu thematisieren! Danke! Gerne mehr dazu, dein Gespräch mit deiner Tochter war sehr rührend!
Liebe Anna,
danke für deinen Kommentar. Ja, Doktorspiele unter Geschwistern sollten es genauso wert sein, darüber zu sprechen (bzw. zu schreiben). Deshalb danke ich dir für deinen Mut; es schafft mir neue Anregung.
Alles Liebe, Evelin