Liebe Wasserratten, Seenixen und die, deren Kinder es noch werden wollen,
erinnert ihr euch noch an eure ersten Schwimmversuche? Ich denke gerne an „mein“ altes Hallenbad zurück. In der einen Ecke stand meine Mama am Beckenrand, in der anderen die freundliche Bademeisterin. Ich war vielleicht acht Jahre alt und schwamm meine erste Bahn im tiefen Wasser ohne Schwimmflügel. Beide Frauen strahlten mich an. Sie sagten mir, dass meine Bewegungen im Wasser gut aussehen, dass ich es schaffen werde, dass ich schwimmen kann. Die Mischung aus Freude und Stolz muss sich ähnlich angefühlt haben wie bei meinen vierjährigen Kindern, als sie Radfahren lernten.
Das Seepferdchen ist kein Nachweis für sicheres Schwimmen
Doch nicht allen ergeht es so. Es gibt zuhauf Erwachsene, denen sich der Bauch krümmt, wenn sie an ihre militärische Schwimmlehrerin denken. Obwohl ich von meinem Schwimmstart und den Badeausflügen meiner Kindheit schwärme, kann ich das nicht vom Schwimmunterricht.
Wir kleinen Soldaten befolgten die Anweisungen: Zack, zack, Kopfsprung; sofort drei Ringen nachtauchen und wie ein Hund mit den Zähnen zupacken; die Augen im beißenden Chlorwasser offen halten; schneller schwimmen; die Nase nicht zuhalten und so weiter. Als Schüler sprangen wir über unseren Schatten. Aber wir waren schutzlos umgeben von Tränen, Angst und Popeln. Von oben ertönten die scharfen Pfiffe der Lehrerinnen.
Zum Dank bekamen wir ein überbewertetes Abzeichen. Das Seepferdchen ist jedoch kein Zeichen für sicheres Schwimmen. Natürlich sind ein Grundschüler und seine Eltern stolz auf diesen „Meilenstein“. Doch ein Kind kann deshalb noch lange nicht ausdauernd schwimmen. Es weiß nicht, wie es in schwierigen Situationen reagieren soll. Was tut es, wenn es im See in Wasserpflanzen gerät, die es umschlingen? Wie lange und wie weit kann es tatsächlich schwimmen? Ist es stark genug, um alleine aus einem Strömungsbecken herauszuschwimmen? Kennt es die Baderegeln auch in fremden Schwimmbädern und Gewässern? Weiß es, wie es eine defekte Poolanlage im Ausland als Gefahrenquelle entlarvt, bevor es hineingeht? Wie kommt es kräftesparend zurück, wenn die Wellen es weit aufs Meer hinausgetragen haben?
Wenn Schwimmkurse keinen Spaß machen, machen sie auch nicht glücklich
Ich war vielleicht neun oder zehn Jahre alt, als ich ein paar Mal an einem außerschulischen Freizeitkurs im Hallenbad teilnahm. Der Schwimmtrainer hatte seinen Ärger mit mir. Er schrie, ich würde nie eine gute Zeit schaffen, wenn ich nicht nach seinen Ringen tauche. Ich lachte ihm frech ins Gesicht, als ich seinen Anweisungen nicht gehorchte. Ich wollte Spaß im Wasser haben und mich so bewegen, wie es mir gefiel. Und genau das tat ich: Rollen vorwärts und rückwärts, wirbelnd vom Sprungbrett springen oder mit einem Radschlag ins Becken springen, rückwärts tauchen und dann wie ein Delphin kurz auftauchen. Alles so, wie ich es in den Sommerferien in den Seen und Freibädern gemacht habe.
Meine Freundinnen hatten mich zum Schnuppern in ihren Schwimmkurs eingeladen. Man sollte effektive Schwimmtechniken erlernen. Vielleicht hoffte man auf eine gute Abschlussnote – irgendwann im Schulsport – oder auf ein neu zu entdeckendes Talent. Aus Angst gehorchten die Kinder der Trillerpfeife und dem Gebrüll des Lehrers. Die Mädchen taten mir leid. Ich war mir sofort sicher, dass hier niemand jemals Spaß haben würde. Später wurde mir klar, dass viele dieser Mädchen als Teenager und Erwachsene nicht besonders schnell, sicher, ausdauernd oder mit Freude schwammen. Der Schwimmtrainer hatte mit seiner Vorhersage nicht recht. Ich erinnere mich zwar in keinster Weise an meine Schwimmzeit, war aber Jahrgangsschnellste – gefolgt von den Schülerinnen, die in ihrer Freizeit eher aus Spaß als aus Pflichtgefühl schwammen.
Freies Schwimmen lernen statt Schwimmtraining
Meine Kinder sind jetzt zehn, acht, fünf und drei Jahre alt. Sie nehmen aus verschiedenen Gründen nicht an einem Schwimmunterricht teil. Andererseits bringe ich ihnen das Schwimmen aber auch nicht selbst bei. Wir haben weder regelmäßig die Möglichkeit zu einem Badeurlaub oder Schwimmbädern noch nutzen wir einen Blitzkurs. Man könnte meinen, dass meine armen Kinder demzufolge nie eine richtige Chance haben, sicher schwimmen zu können.
Viele von euch, die hin und wieder unser Blog lesen, wissen, dass unsere Kinder Freilerner sind. Sie besuchen keine Schule und werden nicht unterrichtet. Die jungen Autodidakten lernen selbstbestimmt und wählen frei, wie, was und wann sie lernen. Das klappt bisher gut, ist aber nicht mit wenigen Worten erklärt. Wer mehr wissen will, ist herzlich eingeladen, hier weiter auf freeyourfamily.net zu stöbern.
Statt Brustschwimmen – für mehr Vertrauen zum Freestyle
Unsere natürlichen Bewegungen beim Laufen, Rennen, Krabbeln sind eigentlich eine Art Kreuztechnik: Geht das rechte Bein voraus, schwingt der linke Arm mit und umgekehrt. Beim Schwimmen würde das normalerweise ähnlich funktionieren.
Australien und die USA sind Schwimmsport-Nationen. Deshalb wird dort auch das Kraul- und Rückenschwimmen für den Schwimmstart bevorzugt. In Deutschland hingegen hat das Brustschwimmen Tradition. Es ist die koordinativ anspruchsvollste Schwimmtechnik.
Krabbeln, laufen, Treppen steigen, Fahrrad fahren – all das haben wir uns selbst beigebracht. Wir brauchten keinen Lehrer. Eher eine helfende Hand, Ermutigung, Begleitung und Vertrauen in uns selbst. So ist es auch beim Schwimmen.
Wusstet ihr, dass es heute „freie“ Schwimmlehrer gibt? Sie grenzen sich klar von den traditionellen Schwimmkursen ab. Denn sie wollen, dass sich die Kinder mit Freude und Leichtigkeit im Wasser bewegen und nicht mit unsicherem Brustschwimmen. Sie wissen, dass junge Freischwimmer zunächst paddeln und sich später mit Kraul- oder Rückenkraulbeinschlag und Delphinkörperwelle bewegen, geschickt und lange tauchen, Kopfsprünge und Saltos vollführen. In ihren Schwimmkursen wollen sie, dass die Kinder einfach ihrem Körper folgen.
Es gibt keine komplizierten Bewegungsanleitungen. Am besten finde ich: Die Eltern sind dabei. Sie sind mit ihrem Kind im Wasser. Sie stehen nicht hilflos hinter der Glasscheibe und schauen ihrem ängstlichen Kind zu.
Vom Babyschwimmen direkt zum Wassermann und zur Meerjungfrau
Seit vielen Jahren lerne ich immer wieder neue Freilerner-Familien kennen. Viele von ihnen sind digitale Nomaden wie wir. Ihre Kinder lernen schwimmen wie unsere. Frei, mit Mama oder Papa an ihrer Seite.
Wir haben auch Freunde, die am Mittelmeer oder auf Segelbooten an der Atlantikküste leben. Sie haben einen klaren Vorteil. Ihre Kinder sind quasi von Anfang an kleine Wasserratten. Sie halten sich mit einer Paddeltechnik über Wasser und verfeinern ihre Bewegungen mit jedem Badetag. Sie sind im Wasser sicher, ohne jemals Schwimmunterricht erhalten zu haben.
Wie lernen ältere Kinder oder Landratten schwimmen?
Andere „freie“ Kinder, wie unsere vier „Landratten“, erlernen das Schwimmen nicht selten erst nach dem sechsten Geburtstag. Vielleicht kennt ihr auch Eltern, die damit prahlen, dass ihr Kleinkind schon lesen, Ski fahren, Rad fahren oder schwimmen kann. Klar – wir sind stolz auf die Erfolge unserer Kinder und wollen sie mit der Welt teilen. Aber wir sollten nicht vergessen, dass dadurch andere Eltern und ihre Kinder unter Druck geraten können. (Zum Umgang mit Prahlerei und zum Vergleichen von Kindern habe ich mich im Artikel Schwache Schüler gibt’s nicht beim Freilernen geäußert.)
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Es ist NICHT wichtig, wann unsere Kinder etwas lernen. Wenn wir Vertrauen in unsere Kinder haben, sollten wir ihnen alle Zeit der Welt und Geduld geben, anstatt Druck auszuüben. Wenn wir erst einmal begriffen haben, dass Brustschwimmen nicht die einzige Schwimmtechnik ist, um sich sicher im Wasser zu bewegen, brauchen wir nicht in Torschusspanik zu verfallen und unser Kind noch schnell zu einem Schwimmkurs anmelden.
Babyschwimmen
Wasser schien nicht das Element meines ersten Kindes zu sein. Das Säuglingsbad, das ich im Rahmen meiner Ausbildung schon hundertmal erprobt hatte, schien sie ebenso wenig zu mögen wie Planschen im Badeeimer. Deshalb (und wegen des Chlorwassers) habe ich mich gegen das Babyschwimmen entschieden. Auch wenn Babyschwimmen durchaus zu begrüßen ist – ich fand es zu stressig für mein hochsensibles Kind. Im Sommer hielt ich sie einfach auf meinem Arm, wenn wir Badeseen besuchten. Zart bewegten sich die kleinen Füßchen, die Händchen patschten, das Mäulchen lächelte. Das reichte uns.
Meine Erfahrungen mit meinen (Nicht-)Schwimmern
Um euch ein wenig den Druck zu nehmen, erzähle ich euch vom Schwimmstart und den Schwimmerfolgen meiner Kinder.
Kind 1
Meine Große hat mit sechseinhalb Jahren ihre ersten Schwimmzüge ohne mich gewagt. Es waren nur ein oder zwei Meter, die sie im kroatischen Vranasee schwamm. Es hat ihr Spaß gemacht, wie ein kleiner Hund durchs Wasser zu paddeln. Einen Monat später badeten wir in einem großen Fluss. Vielleicht lag es am kühlen Wasser, vielleicht schaute sie sich auch etwas von mir ab: Das Brustschwimmen führte sie in hektischen Bewegungen aus, um nach zwei, drei Zügen die Füße wieder auf den Boden zu setzen.
Dann kam der Herbst. Von Neoprenanzügen, die das Schwimmen in kälteren Gewässern ermöglichen, wussten wir noch nichts. Weitere Schwimmversuche blieben bis zum nächsten Sommer aus.
Der nächste Sommer schränkte unsere Badeausflüge dank Coronamaßnahmen und Baby ein. Besondere „Erfolge“ verzeichneten wir nicht. Es blieb bei ein paar Metern, die sie frei im Wasser zurücklegte. Ein weiteres Jahr verstrich – und unsere Große demonstrierte stolz im Thermalbad, wie weit und ausdauernd sie durch die Hallen schwamm. Sie hatte das Schwimmen nicht verlernt, aber an körperlicher Geschicklichkeit gewonnen. Fürs Tauchen verlangt sie eine Nasenklammer.
Kind 2
Währenddessen stellte unsere mittlere Meerjungfrau ihre Tauchkünste zur Schau. Bei jeder Gelegenheit hatte sie es geübt, in der Badewanne (und beim Autofahren) die Luft anzuhalten. Sie war inzwischen sieben Jahre alt und tauchte im Pool und in natürlichen Gewässern zwei bis drei Meter weit. Mal kneift sie sich die Nase mit den Fingern zu, mal klappt es auch ohne. Heute, mit acht Jahren, hat sie pure Freude daran, ins Wasser zu springen und mehrere Rollen hintereinander vorzuführen oder rückwärts zu tauchen.
Sie schwimmt am liebsten mit der „Hundetechnik“. Mein Sandwichmädchen nutzt das Brustschwimmen kaum, obgleich die Oma es gerne mit ihr üben würde.
Kind 3
Unser Fünfjähriger liebt es, in hohe Wellen zu springen und am Beckenrand herumzuturnen. Im Hallenbad sitzt er konsequent auf der Treppe. Umso mehr ärgert mich der teure Eintritt, aber es hat keinen Sinn, ihn ins Wasser zu zwingen. Alle liebevollen Angebote und Versuche scheitern. Alles, was er braucht, um schwimmen zu lernen, ist Zeit. Wir werden uns also weiter gedulden müssen.
Kind 4
Der Jüngste, unser Dreijähriger, ist voller Enthusiasmus. Er hat Respekt vor dem tiefen Wasser, aber er probiert sich aus. Er legt gerne einen Arm um meinen Nacken und will so neben mir schwimmen. Natürlich stütze ich ihn dabei.
Fazit: Schwimmen lernen dank sicherer Bindung
Nun kann ich weder mit vier zeitigen Schwimmern noch mit Seepferdchenabzeichen prahlen. Aber ich darf euch erleichtern, sollten eure Kinder noch keine Profischwimmer sein. Wenn eure emotionale Bindung stimmt, wenn ihr mit ihnen im Wasser seid und sie ausprobieren lasst, werden sie Schritt für Schritt lernen, sich sicher im Wasser zu bewegen.
Nicht zu streng sein – mit sich selbst
Wie steht ihr zu Schwimmhilfen? Freie Schwimmtrainer halten nichts von Schwimmbrettern, -ärmchen, Wassernudeln und Co. Wie Physiotherapeuten meinen sie, dass es so ist wie mit Lauflernhilfen. Sie schaden, statt zu fördern.
Ich verstehe wohl, dass die Schwimmflügel die Wahrnehmung der Auftriebskraft verfälschen. Zudem schützen sie nicht vorm Ertrinken.
Trotzdem ziehe ich sie meinem Jüngsten manchmal bewusst über. Wenn ich drei weitere Kinder im Wasser betreue, helfen mir die kleinen Luftbeutel. So habe ich im Notfall einen Arm frei, um schnell nach dem Fünfjährigen zu greifen.
Wenn euer Kleinkind wild im Wasser umherwirbelt und nicht zu bremsen ist, sollte keiner den Zeigefinger erheben. Jede Familie darf selbst entscheiden, was für sie am besten passt. Manche Eltern fühlen sich selbst nicht wohl im Wasser, andere haben einfach gerade nicht die zeitlichen Kapazitäten. Dann ist ein Schwimmkurs doch völlig legitim. Am besten mit einem netten Schwimmtrainer – und wenn es der Opa oder Onkel ist.
Freude statt Angst
Wir sollten Respekt vor dem Wasser haben, jedoch keine Angst. Wenn unser Gehirn blockiert ist, weil es Angst vor etwas hat, kann es nicht lernen. Und gerade jetzt, an den (bestimmt bald wieder) warmen Sommertagen, spüren wir noch mehr als sonst: Spaß im Wasser zu haben, sich leicht zu fühlen und seinen Körper darin zu bewegen, das tut gut! Lasst uns unsere Kinder ohne Druck beim Schwimmenlernen begleiten, damit es ihnen ein Leben lang eine Freude sein wird.
Erfrischende Grüße, eure Evelin!
Schwimmen lernen ohne Anleitung und Unterricht – geht das? von Free Your Family ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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